Vor 86 Jahren löschten die Nazis Leben von Juden aus und zerstörten Synagogen und Geschäfte. Rund um den 9. November wird an die Opfer erinnert. Der Präsident des Zentralrats der Juden äußert sich zur Erinnerungskultur.
In Deutschland ist am Wochenende an die Opfer der gegen Juden gerichteten NS-Novemberpogrome von 1938 erinnert worden. Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, würdigte die Erinnerungskultur. Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, schilderte eindrücklich ihre Erlebnisse als damals sechs Jahre alte Zeitzeugin. In Österreich hatten am Freitag jüdische Studierende dem Österreichischen Nationalratspräsidenten Walter Rosenkranz (FPÖ) die Teilnahme an einem zentralen Schoah-Gedenken in Wien verweigert.
Die Novemberpogrome jährten sich zum 86. Mal. Sie waren eine vom NS-Regime organisierte und gelenkte Zerstörung von Einrichtungen von Jüdinnen und Juden im gesamten damaligen Deutschen Reich. Nach unterschiedlichen Schätzungen wurden zwischen dem 7. und 13. November 1938 im Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Mehr als 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.
Schuster sagte der “Frankfurter Allgemeinen Zeitung” (Samstag), die Erinnerungskultur in Deutschland sei grundsätzlich auf einem guten Weg. Es gebe regional wie überregional viele Gedenkveranstaltungen. “Aus dem Gedenken an tote Juden muss dann aber auch das Bewusstsein für den Antisemitismus in unserer Zeit erwachsen, der häufig in einem neuen Gewand erscheint.”
Als “leider zu begrenzt” bezeichnete der Zentralratspräsident die finanzielle Unterstützung für KZ-Gedenkstätten. Ein Land wie Deutschland müsse unter Berücksichtigung der eigenen Geschichte die Mittel dafür aufbringen, “auch wenn es schwer ist”. Am Freitag hatte Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) die Arbeit von Gedenkstätten als bedeutend gewürdigt. Ihnen müsse der Rücken gestärkt werden. Auch müssten sie gegen “zunehmende Angriffe von Rechtsextremen und Geschichtsleugnern” verteidigt werden.
Knobloch betonte am Samstagabend in München, die Vergangenheit sei zum Beispiel angesichts der jüngsten gegen israelische Fußballfans gerichteten Ausschreitungen in Amsterdam so vergangen nicht. Wer glaube, Judenhass sei in Deutschland ein überwundenes Phänomen der Geschichte, liege falsch. “Antisemitismus besteht nicht nur aus uralten Schwarz-Weiß-Fotos. Wir erleben ihn heute in HD-Qualität.”
Judenhass sei Gift für alle, betonte Knobloch. Er zerstöre, was nach 1945 aufgebaut worden sei und stelle die Antithese des Fundaments aus Offenheit, Toleranz, gegenseitigem Respekt und würdevollem Umgang dar, auf dem die Gesellschaft sowie Wohlstand und Freiheit beruhten. Sie rief dazu auf, sich zu erinnern, damit einen die Vergangenheit nicht einhole. Demokratie sei unmöglich, wenn man nicht verstehe, was ohne Demokratie möglich werde.
Der Künstler und Initiator der Stolperstein-Aktion, Gunter Demnig, sagte am Samstag WDR 5: “Mit den Steinen werden wieder Spuren verlegt – hoffentlich für längere Zeit. Und wenn was rausgerissen wird, dann werden sie ersetzt. Aber das Prinzip Spurenlegen, das ist das Wichtigste und das ist auch für die Angehörigen wichtig. Denn das ist auch etwas, was mir der Rabbi von Köln mitgegeben hat: Ein Mensch ist erst vergessen, wenn der Name vergessen ist.” Demnig hat den Angaben zufolge seit 1996 bisher rund 113.000 Stolpersteine in mehr als 30 Ländern Europas verlegt.