Das Computerspiel “Assassin’s Creed Shadows” beeindruckt mit fantastischen Szenerien und einer auf historischen Fakten basierenden Handlung. In der Kurzkritik: “Cozy Grove: Camp Spirit”.
Man muss schon die ganz große Kunst bemühen, um manch einem aktuellen Spiel gerecht zu werden. Angesichts dessen, was Ubisoft Quebec auf den Bildschirm zaubert, fallen einem etwa die berühmten “Jahreszeitenbilder” von Pieter Brueghel d. Ä. ein. Die “imitatio”, die künstlerische Nachahmung der Natur, steht beim Gamedesign im Dienste der so genannten Immersion: Der Spieler, der seine Perspektive beliebig ändern kann, wird damit direkt in das Geschehen gezogen. Die zugrundeliegende Software setzt die dargestellte Szenerie dem wechselnden Einfluss von Licht, Witterung und Jahreszeiten aus und macht die Spielwelt so lebendig.
Im Falle der “Assassin’s Creed”-Reihe kommt noch eine akribische Nachbildung der jeweiligen Epoche hinzu. In “Shadows” ist es das Japan der 1580er-Jahre, die Handlung spielt zwei Jahrzehnte vor dem berühmten Japan-Roman “Shogun”, der hier ebenfalls seinen Einfluss geltend macht. In dieser Ära kämpften mächtige regionale Fürsten um die Vorherrschaft im Land. Die riesige, neun Provinzen umfassende Landschaft wird so zum Schauplatz martialischer Szenen, die sich Caravaggio, Rembrandt oder Artemisia Gentileschi nicht blutiger hätten ausmalen können.
“Assassin’s Creed Shadows” ist vorrangig ein Kampfspiel und damit alles andere als gewaltfrei. Nicht nur an einer Stelle fragt man sich, ob die Darstellungen nicht doch etwas weniger drastisch hätten ausfallen können. Denn seine größte Faszination entwickelt das Spiel gerade dort, wo es mal nicht ums Kämpfen geht.
Im Zentrum steht zunächst die junge Ninja Naoe. Sie wird als ein von den Ereignissen mitgerissener empathischer Charakter gezeigt. Nach der Ermordung ihres Vaters macht sie sich auf die Suche nach den Tätern, einer Gruppe dämonisch maskierter Warlords. Dabei trifft sie auf zahllose Figuren, erkundet Orte und Sehenswürdigkeiten, die sich wie ein Puzzle zu einem eindrucksvollen Diorama des feudalen Japan zusammensetzen. Naoe kann der Gewalt oft aus dem Weg gehen, sie nimmt an Teezeremonien teil, knüpft Verbindungen und baut ihr Versteck aus, aus dem heraus sie ihren Feinden und den Truppen des Shoguns Oda Nobunaga die Stirn bietet. Auf dessen Seite kämpft der dunkelhäutige Hüne Yasuke, in dessen Rolle man ebenfalls jederzeit schlüpfen und das Spiel aus dieser ganz anderen Perspektive erleben kann.
In den sozialen Medien entbrannte prompt eine hitzige Debatte über den schwarzen Samurai. Der ist allerdings, ebenso wie Naoes Vater Fujibayashi Nagato, einer realen historischen Person nachempfunden. Der Afrikaner Yasuke diente in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einem Daimyo als Gefolgsmann und Waffenträger. Die genauen Hintergründe liegen im Dunkeln und wurden von den Autoren der filmreifen Handlung von “Assassin’s Creed Shadows” schöpferisch ergänzt. Trotzdem sah sich der Hersteller am Ende gezwungen, daran zu erinnern, dass es sich hier um ein kreatives Werk und kein Geschichtsbuch handle.
Und in der Tat, man kann sich verlieren in dieser digitalen Welt mit ihren Wäldern und Wiesen, in die der Wind seine Muster zeichnet, mit von Stürmen gebeugten Baumwipfeln, malerischen Winterlandschaften, Straßen, auf die von Zeit zu Zeit Gewitterregen niedergehen – all das in bislang unerreichter naturalistischer Darstellung. Denn tatsächlich geht es in dem Spiel vor allem ums Beobachten und Entdecken. Es geht darum, herauszufinden, nach welchen Regeln dieser Mikrokosmos funktioniert und welche Geheimnisse man ihm entlocken kann. Und gerade darin wird offenbar, was “Assassin’s Creed Shadows” vor allem ist: ein großes Kunstwerk.
Ubisoft/Ubisoft Quebec
USK ab 18 Jahren; Ganz klar: “Assassin’s Creed Shadows” ist ein Spiel für Erwachsene, das nicht von Jüngeren gespielt werden sollte. Der Lerneffekt ist aber enorm, und man darf hoffen, dass die Entwickler wie im Falle von “Assassin’s Creed Odyssee”, das im antiken Griechenland spielte, eine gewaltfreie Version fürs Klassenzimmer veröffentlichen werden.
nein
einstellbar
PlayStation 5, Xbox Series, Windows PC, MacOS
ab ca. 70 Euro
“Ghost of Tsushima” (Sony, für PS4, PS5 und Windows) führt die Spieler noch einmal 300 Jahre zurück, ins Japan zur Zeit der mongolischen Invasion. Parallelen sind die Kämpfe sowie die atmosphärisch spektakuläre Landschaft, auch wenn “Assassin’s Creed Shadows” als der neuere Titel technisch die Nase vorn hat. Neu ist, dass man in “Assassin’s Creed” nun direkt in andere Epochen wechseln kann. Dazu muss man Titel wie “Odyssee” (Griechenland), “Origins” (Ägypten) oder “Valhalla” (Wikinger) aber besitzen oder kaufen.
Selten sagt ein Name schon so viel über ein Spiel aus: “Cozy Games” nennt man Spiele, die primär der Entspannung dienen, relativ einfach zu bewältigen sind und weitgehend gewaltfrei daherkommen. In “Cozy Grove” findet, daher der Zusatz “Camp Spirit”, ein Zeltlager statt, in dem sich diverse, meist friedfertige und freundliche, aber mitunter auch etwas widerspenstige Geister tummeln.
Dazu gehören allerlei skurrile Geschöpfe wie ein sprechender Geisterbär in Gestalt einer Buntstifteschachtel, mit dem sich die Hauptfigur rasch anfreundet. Im weiteren Verlauf geht es darum, die Geheimnisse von “Cozy Grove” zu erkunden, magische Gegenstände auszugraben und das Camp zu gestalten. Grafik wie Musik sind beruhigend und herzerwärmend, und man kommt schnell in das Stadium, wo man nur noch dies oder das erledigen oder ausprobieren möchte und gar nicht merkt, wie die Zeit vergeht.
Die Lebenssimulation “Cozy Grove” erschien für PC und Nintendo Switch und entwickelte sich schnell zum Geheimtipp. Die Fortsetzung “Camp Spirit” gibt es nun bei Netflix, was bedeutet, dass Abonnenten des Streaming-Dienstes sie gratis spielen können. Dazu meldet man sich im Internet-Browser bei Netflix an und sucht den Bereich “Spiele (Beta)”. Gesteuert wird per Maus und Tastatur oder Game-Controller. Für mobile Geräte kann “Cozy Grove: Camp Spirit” im App Store (für iOS) und Play Store (Android) heruntergeladen werden. Auch hier ist ein Netflix-Abo notwendig, dafür gibt es keinerlei Werbung oder In-App-Käufe. Dass die Altersfreigabe mit “10+” angegeben wird, liegt am moderat schwarzen Humor, gelegentlichen Schimpfwörtern und Anspielungen auf Rauschmittel, die im Spiel vorkommen. So lange sie das magische Lagerfeuer nicht ausgehen lassen, haben aber auch junge Spieler nichts zu befürchten.