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Friedenspreisträger Karl Schlögel für harten Kurs gegenüber Putin

In der Ukraine führt Russland seinen Krieg mit unverminderter Härte fort. Daran werde sich vorerst nichts ändern, sagt der Historiker und Osteuropa-Experte Karl Schlögel. Herausforderungen sieht er aber auch andernorts.

Mitte Oktober erhält der Historiker Karl Schlögel in der Frankfurter Paulskirche den mit 25.000 Euro dotierten Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Im Gespräch mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) blickt der 77-jährige Sachbuchautor und Osteuropa-Experte auf die Verwerfungen in der Welt; und verrät, an welchem Projekt er als nächstes arbeitet.

Frage: Herr Professor Schlögel, im vergangenen Jahr haben Sie den renommierten Gerda-Henkel-Preis erhalten. Im Oktober wird Ihnen der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels überreicht. In Sachen Auszeichnungen läuft es gerade ganz gut, oder?

Antwort: Also, die Preise sind für mich eine große Überraschung. Es hat jetzt eine gewisse Häufung gegeben, und ich versuche, der Bürde solcher Auszeichnungen auch gerecht zu werden. Man wird ja nicht übermütig. In gewisser Weise sind sie auch der Ertrag einer jahrzehntelangen Arbeit. Das nehme ich sehr ernst.

Frage: Erwischen Sie sich manchmal bei dem Gedanken: Die mit den Preisen verbundenen finanziellen Segnungen hätte ich auch früher schon gut oder sogar noch besser brauchen können?

Antwort: Nein. Es ist ja eher so, dass man von Buch zu Buch weiter arbeitet. Man denkt ja nicht an die Preise, die man vielleicht bekommen könnte, sondern versucht, mit einem Stoff fertig, ihm gerecht zu werden und eine gelungene Arbeit abzuschließen. Wenn ich mit einem Buch fertig bin, geht einem ja schon das nächste im Kopf herum.

Frage: Worum wird es dabei gehen?

Antwort: Eine Geschichte Russlands, erzählt entlang der Wolga. Das dauert aber noch eine Weile, und ich denke, es werden ein paar kleinere Sachen dazwischenkommen.

Frage: Besonders Europa blickt gerade mit großer Sorge auf Russland. Hierzulande sprechen wir darüber, dass Deutschland wieder kriegstüchtig werden müsse. Mitunter heißt es, man müsse Präsident Wladimir Putin klare Grenzen aufzeigen und nicht die Fehler von 1938 wiederholen, als man Adolf Hitler zu lange gewähren ließ. Was sagt der Friedenspreisträger dazu?

Antwort: Es ist wahr – es hat eine ganze Weile gedauert, bis man die Eskalationsstrategie Putins überhaupt ernst genommen hat. Er hat ja schon 2014 die Krim besetzt. Das war die erste gewaltsame Grenzverschiebung in Europa nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Und es hat lange gedauert, bis man sich bewusst wurde, dass Kiew, eine große europäische Hauptstadt, Tag und Nacht bombardiert wird. Wie würden wir wohl reagieren, wenn Bomben auf Marseille, Triest oder Barcelona fielen?

Frage: Sie befürworten also einen scharfen Kurs gegenüber Putin – und gehen davon aus, dass diese Konfrontation noch länger dauern wird?

Antwort: Es ist eigentlich kein weiterer Beweis notwendig, dass es Putin ernst ist, den Krieg fortzuführen; und dass er diplomatische Initiativen nur nutzt, um Zeit zu gewinnen. Während er von US-Präsident in Alaska auf dem roten Teppich empfangen wurde, befahl er die schwersten Bombenangriffe auf Kiew seit Kriegsbeginn.

Frage: Gerade bei diesem Gipfeltreffen zwischen Trump und Putin im August wurden Erinnerungen an frühere Begegnungen zwischen sowjetischen und US-Präsidenten wach. Befinden wir uns in einem neuen Kalten Krieg?

Antwort: Man könnte das meinen. Aber ich halte diese Terminologie für nicht ganz zutreffend.

Frage: Warum?

Antwort: Wir haben es mit einer ganz neuen Konstellation zu tun, außerdem mit einer neuen Form von Kriegführung. Die Lage ist viel komplizierter und unübersichtlicher geworden. Es ist notwendig, sich ein neues Bild von der Welt zu machen.

Frage: Wie sieht dieses Bild Ihrer Ansicht nach aus?

Antwort: Es gibt nicht mehr nur die zwei Supermächte USA und Russland, sondern mehrere Kraftzentren, die die Weltpolitik bestimmen. Das bekannteste ist China. Dann haben wir es mit Entwicklungen zu tun, die noch schwer zu beschreiben sind. Angefangen bei der Frage, was dieses postsowjetische Russland heute eigentlich darstellt; dieser größte Territorialstaat der Erde, der sich angeblich eingekreist fühlt. Im Westen haben wir es mit politischen Eliten in den USA zu tun, deren Entscheidungen außerordentlich schwierig nachzuvollziehen sind.

Frage: Wie genau meinen Sie das?

Antwort: Man ist beispielsweise erstaunt über die Unprofessionalität der derzeitigen US-Diplomatie. Da fährt etwa Trumps Sondergesandter Steve Witkoff nach Moskau, führt lange Gespräche, lässt unglaubliche Lobeshymnen auf Putin los und weiß nicht einmal, welche Territorien von Russland besetzt sind. Wenn man das vergleicht mit dem, was einmal amerikanische Diplomatie war – ich denke an jemanden wie George F. Kennan, der übrigens 1982 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhielt -, so lässt einen das sprachlos zurück.

Frage: Was folgt für Sie daraus?

Antwort: Da die Trump-Regierung mit ihrem wohl gewollt unberechenbaren Kurs weiter Unsicherheit sät, müssen die Europäer endlich lernen, dass sie ganz auf sich selbst gestellt sind. Das gilt auch für die Ukraine.

Frage: Kehren wir kurz zu Putin zurück. Er stellt ja selbst auch immer wieder Rückbezüge zum Zweiten Weltkrieg und zum Nationalsozialismus her. Was hat das zu bedeuten?

Antwort: Er versucht, den Angriffskrieg, den er gegen die Ukraine vom Zaun gebrochen hat, als Verteidigungskrieg gegen den Faschismus darzustellen, als Fortsetzung des Großen Vaterländischen Krieges. Eine absurde Verdrehung der Wirklichkeit.

Frage: Putin instrumentalisiert Geschichte. Kann umgekehrt Geschichte dabei helfen, die Gegenwart besser zu verstehen?

Antwort: Ich glaube, dass die 1930er Jahre außerordentlich lehrreich sind. Nicht in dem Sinne, dass man daraus ein Rezept ableiten kann – Geschichte wiederholt sich nicht. Aber ich glaube, wir sind gut beraten, uns noch einmal in diese Epoche zu vertiefen, weil wir uns in einer in Vielem vergleichbaren Lage befinden; nicht nur im militärischen Sinn. Die Münchner Konferenz 1938 hat nicht den Frieden gerettet, sondern Hitler den Weg in den Krieg geebnet. Niemand war 1939 darauf vorbereitet, dass es zu einem Pakt zwischen zwei verfeindeten Mächten kommen würde: Stalins Sowjetunion und dem nationalsozialistischen Deutschland.

Frage: In den 70er und 80er Jahren gab es in Deutschland eine starke und einflussreiche Friedensbewegung. Heute werden jene, die nach Frieden rufen, eher belächelt, oder sie demontieren sich selbst wie Sahra Wagenknecht. Warum ist das so?

Antwort: Friedensbewegung heißt doch, den Anfängen zu wehren, den Aggressor zurückzuweisen und den Angegriffenen beizustehen. Im Osten Europas ist Russland der Angreifer. Bei allem guten Willen und bei allen guten Absichten muss eine Friedensbewegung, die diesen Namen verdient, dieser Wirklichkeit Rechnung tragen. Vielleicht hat man nach 70, 80 Jahren Friedenszeit den Sinn dafür verloren, wovon die Gefahr ausgeht und wofür man gerüstet sein muss.

Frage: Welche Position sollte vor diesem Hintergrund eine Friedensbewegung mit Blick auf den Nahen Osten beziehen?

Antwort: Mir fällt kein Ausweg ein, solange die Linie der Hamas darin besteht, den Staat Israel zu vernichten. Wie aber eine Ausschaltung der Hamas aussehen könnte, die die Verwüstung von Gaza vermeidet, das wüsste ich gerne. Aber ich weiß es nicht.