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Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit

„Don Camillo und Peppone auf französisch“: Vom Streit zwischen einem Bürgermeister und einem Pfarrer, wie es dazu kam, dass eine Kirche mit dem Motto der französischen Revolution versehen wurde und was dieses Motto Christen zu sagen hat

Liberté, Egalité, Fraternité: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. So lautete der Wahlspruch der Französischen Revolution von 1789. In Frankreich ist er seit 1880 auf Amtsgebäuden zu lesen oder auf Schulen. Und in einem einzigen Fall sogar auf einer Kirche, nämlich St. Carrad’heuc in Donzy, einer kleinen hübschen Ortschaft ganz im Westen von Burgund. Wie kam es dazu?
Das Revolutionsmotto benannte als sein Ziel die Abschaffung eines feudalen und absolutistischen Staates mit seiner als ungerecht empfundenen Ständeordnung. In ihm hatte der Adel das Sagen, und eine seiner wichtigen Stützen war die katholische Kirche. So wundert es nicht, dass mit der Entmachtung des Adel auch die der Kirche einherging. Dabei wurde der kirchliche Besitz zum größten Teil verstaatlicht.

Wachsende Spannungen zwischen Kirche und Staat

Erst unter Napoleon Bonaparte entspannte sich ab 1801 das Verhältnis, nachdem Staat und Vatikan ein Konkordat abschlossen und sich rechtlich einigten. In den folgenden Jahrzehnten erstarkte die katholische Kirche. Dabei stand sie dem republikanisch-demokratischen Staat zunehmend ablehnend gegenüber. In der 1870 ausgerufenen Dritten Republik führte dies zu wachsenden Spannungen mit starken antiklerikalen Anteilen.
In Donzy hieß in dieser Zeit der Bürgermeister Hubert Front, was übersetzt Stirn heißt. Sein Name war Programm, denn er bot dem politisch konservativen Pfarrer Dominique Bailly die Stirn. So forderte er ihn anlässlich des zehnten Jahrestages des Dritten Republik auf, die Wetterfahne auf der alten romanischen Kirche in den republikanischen Farben blau-weiß-rot zu streichen. Außerdem sollte am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, das gegen die Republik protestierende Glockengeläut unterbleiben.
Der Pfarrer verweigerte beides. Gemäß seinem Vornamen fühlte er sich in seiner Kirche an den Dominus, also an Gott den Herrn, gebunden. Das wiederum empfand der Bürgermeister als Affront. Er ließ 1881 nicht nur die Wetterfahne streichen, sondern vor allem auf das bisher der Enteignung entgangene Kirchengebäude mit großer Schrift jene Worte schreiben, die dort bis heute zu lesen sind: „REPUBLIQUE FRANÇAISE LIBERTE EGALITE FRATERNITE“.
Don Camillo und Peppone auf französisch, hier allerdings mit dem Bürgermeister als Sieger. Doch dies war mehr als eine Provinzposse. Der Pfarrer zog vor Gericht, der Fall ging über Jahre durch alle Distanzen und wurde sogar in der Nationalversammlung debattiert. Schließlich verlor der Bürgermeister den Rechtsstreit und wurde eher symbolisch zu einer zweitägigen Haftstrafe verurteilt. Und als Folge nicht nur, aber auch des Konfliktes in Donzy erließ das französische Parlament zwischen 1902 und 1905 eine Reihe von Gesetzen zur vollständigen Trennung von Staat und Kirche.

Alte Kirchen werden vom Staat unterhalten

Seither sind alle vor 1905 erbauten Kirchen öffentliches Eigentum und werden vom Staat unterhalten. Das führt allerdings dazu, dass viele der in kleinen Ortschaften liegenden  romanischen oder gotischen Kirchen baulich vernachlässigt werden, so auch in Donzy.
Allerdings mag man fragen, ob wirklich der Staat aus diesem Streit als Sieger hervorging. Unfreiwillig nämlich hat der Bürgermeister drei durchaus biblische Grundforderungen seinem Dorf dauerhaft vor Augen gestellt.
Freiheit. Die Einleitung zu den Zehn Geboten in 2. Mose 20,2 erinnert: „Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft geführt habe.“ Und Paulus schärft in Galater 5,1 ein: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit!“ – Gleichheit. Die Gleichheit vor dem Gesetz fordern vor allem die Propheten ein, damit Arme, Witwen und Waisen nicht benachteiligt werden. Und wiederum Paulus betont in Galater 3,28 eine durch die Verbundenheit mit Christus begründete Gleichheit: „Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau.“ – Brüderlichkeit. Alttestamentliche Gesetze schützen Einzelne vor Willkür und sichern die Rechte von Fremden. Jesus benennt in Matthäus 22,38f. als „das höchste und größte Gebot“ neben der Liebe zu Gott: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Und er erweitert diese Geschwisterlichkeit um die Feindesliebe.
Aus diesen Gründen ist die politische Parole auf der mittelalterlichen Kirche von Donzy wegen ihres biblischen Inhalts vorbildlich und aktuell. Es tut den Menschen sicher nicht nur in Donzy und Frankreich, sondern auch in unsrem Lande gut, sich an die biblischen Grundlagen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit erinnern zu lassen. Und es tut unseren Ländern gut, wenn Staat und Kirche gemeinsam sich auf dieser Grundlage um Recht und Frieden mühen.
Vorbildlich ist Donzy übrigens noch in ganz anderer Hinsicht. Mit seinen rund 1600 Einwohnern repräsentiert die Gemeinde seit Jahren bei Parlamentswahlen ganz Frankreich; sein örtliches Wahlergebnis nämlich entspricht, manchmal bis auf die Stellen hinter dem Komma, in der Parteienverteilung dem Ergebnis der gesamten Republik. Die nach wie vor blau-weiß-rote Wetterfahne auf St. Carrad’heuc zeigt von daher auch im politischen Sinne an, woher in Frankreich der Wind weht.

Der Autor dieses Beitrages und UK-Leser Dr. theol. Werner Max Ruschke leitete das Predigerseminar der Evangelischen Kirche von Westfalen in Soest. Zuletzt war er Vorstandsvorsitzender der Evangelischen Perthes-Stiftung e. V. in Münster.