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Ferragosto: Hitzefrei auf Italienisch

Einmal im Jahr wird Rom zu einem “Lost Place”. An Ferragosto erreicht die Sommerhitze ihren letzten Höhepunkt – Bewohner fliehen aus der Stadt, Touristen vermeiden lange Aufenthalte. Doch die Leere hat auch Vorteile.

 “Chiuso per ferie” oder “Siamo in vacanza” – überall in Rom kleben die zumeist neonfarbenen Aushänge mit stilisierten Palmen und Sonnenschirmen an Rollläden, Speisekarten und Eingängen und verkünden: “Geschlossen wegen Ferien”. Bekleidungsgeschäfte, die Kaffeebar an der Ecke und Apotheken sind zu. Ärzte und Ämter arbeiten allenfalls mit Minimal-Besetzung. Supermärkte schließen früher, Pfarreien reduzieren die Zahl der Gottesdienste.

Es ist “Ferragosto” – Hitzefrei auf Italienisch. Rund um den 15. August bis hinein in den September steht das öffentliche Leben Italiens und seiner Hauptstadt weitgehend still.

Erfinder der Augustruhe war der römische Kaiser Augustus. Er soll bereits im Jahr 18 vor Christus die “Feriae Augusti” eingeführt haben. Die Römer sollten in der heißesten Zeit des Jahres Tage der Erholung genießen. Ursprünglich, so findet sich in einigen Quellen, lag der Termin auf dem 1. August und wurde später mit dem kirchlichen Fest Mariä Himmelfahrt zusammengelegt. Deshalb zeigt sich auch an diesem Tag Papst Franziskus zum Mittagsgebet am Fenster seiner Wohnung im Apostolischen Palast und segnet die Pilger, die trotz der Hitze den Weg zum aufgeheizten Petersplatz finden. Seine Vorgänger hielten sich im August meist in kühleren Bergregionen außerhalb von Rom auf – so wie es die Adligen schon seit Jahrhunderten praktizierten.

Den Brauch, dass auch das gemeine Volk an Ferragosto aus den Städten hinaus aufs Land fährt, führten vor rund hundert Jahren die italienischen Faschisten ein. Mit ermäßigten Zugtickets sollten die Italiener so die Schönheit ihrer Heimat erkunden.

Wer kann, flieht auch heute noch aus den überhitzten Städten. Laut einer aktuellen Studie der italienischen Tourismus-Beobachtungsstelle “Confcommercio” verreisen allein in dieser Ferragosto-Woche rund dreizehn Millionen Italiener – also knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung. Für fast vier von zehn Italienern ist es die einzige Möglichkeit für einen Urlaub – Arbeitsstelle und Schulen sind geschlossen, Verwandte und Freunde im Süden öffnen ihre Häuser für die bekannten Gäste. Über 80 Prozent der urlaubenden Italiener verbringen die Ferien im eigenen Land – am liebsten am Meer, ein paar in den Bergen, einige wenige in den Kunststädten.

Die Daheimgebliebenen verharren derweil hinter heruntergelassenen Rollläden und mit laufender Klimaanlage in ihren Stadtwohnungen. Fast jeder dritte Italiener gab in der Studie an, wegen eines Mangels an Geld nicht in den Urlaub fahren zu können. 14 Prozent bleiben zuhause, weil sie sich um hilfsbedürftige Personen kümmern müssen.

In Großstädten wie Rom ist der diesjährige August besonders beschwerlich. Seit Wochen schmilzt eine Hitzewelle mit Temperaturen bis über 40 Grad den Asphalt und die gute Laune in Italiens Hauptstadt – das Dolce-Vita-Gefühl verdunstet in der unerbittlichen Sonne. Der ausbleibende Regen verwandelt Grünflächen in ein beiges, unwirtliches Nichts. Die Feuerwehr schafft es kaum, die vielen Vegetationsbrände zu löschen, Asche rieselt regelmäßig auf Straßen und Balkone.

Doch haben geschlossene Bars und Kulturbetriebe auch ihre positiven Seiten: Denn im August sinken die Touristenzahlen in der sonst so überfüllten Stadt. Nur vereinzelt schleppen sich Gruppen von Kreuzfahrt-Urlaubern für einen Tagesausflug durch Rom. Und auch das wird nicht gefördert, denn es ist Hauptbaustellenzeit bei den öffentlichen Verkehrsmitteln – Metro und Bahn sind nur eingeschränkt nutzbar.

Paradiesische Zustände herrschen für den stets auto-begeisterten Römer mit unzähligen freien Parkplätzen. Und so gibt es für die Ausharrenden trotz allem auch ein Gefühl erfüllender Leere.