Artikel teilen

Feiern statt schelten

Wer ist verloren? – Gedanken zum Predigttext am 3. Sonntag nach Trinitatis. Von Matthias Rost, Leiter der Arbeitsstelle Gottesdienst der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland.

Predigttext am 3. Sonntag nach Trinitatis: Lukas 15,(1–3).11b–32 11 Und er sprach: Ein Mensch hatte zwei Söhne. 12 Und der jüngere von ihnen sprach zu dem Vater: Gib mir, Vater, das Erbteil, das mir zusteht. Und er teilte Hab und Gut unter sie. 13 Und nicht lange danach sammelte der jüngere Sohn alles zusammen und zog in ein fernes Land; und dort brachte er sein Erbteil durch mit Prassen. 14 Als er aber alles verbraucht hatte, kam eine große Hungersnot über jenes Land und er fing an zu darben. 20 Und er machte sich auf und kam zu seinem Vater. Als er aber noch weit entfernt war, sah ihn sein Vater und es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn. 21 Der Sohn aber sprach zu ihm: Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir; ich bin hinfort nicht mehr wert, dass ich dein Sohn heiße. 22 Aber der Vater sprach zu seinen Knechten: Bringt schnell das beste Gewand her und zieht es ihm an und gebt ihm einen Ring an seine Hand und Schuhe an seine Füße 23 und bringt das gemästete Kalb und schlachtet’s; lasst uns essen und fröhlich sein! 24 Denn dieser mein Sohn war tot und ist wieder lebendig geworden; er war verloren und ist gefunden worden. Und sie fingen an, fröhlich zu sein. 25 Aber der ältere Sohn war auf dem Feld. Und als er nahe zum Hause kam, hörte er Singen und Tanzen 26 und rief zu sich einen der Knechte und fragte, was das wäre. 27 Der aber sagte ihm: Dein Bruder ist gekommen, und dein Vater hat das gemästete Kalb geschlachtet, weil er ihn gesund wiederhat. 28 Da wurde er zornig und wollte nicht hineingehen. Da ging sein Vater heraus und bat ihn. 29 Er antwortete aber und sprach zu seinem Vater: Siehe, so viele Jahre diene ich dir und habe dein Gebot nie übertreten, und du hast mir nie einen Bock gegeben, dass ich mit meinen Freunden fröhlich wäre. 30 Nun aber, da dieser dein Sohn gekommen ist, der dein Hab und Gut mit Huren verprasst hat, hast du ihm das gemästete Kalb geschlachtet. 31 Er aber sprach zu ihm: Mein Sohn, du bist allezeit bei mir und alles, was mein ist, das ist dein. 32 Du solltest aber fröhlich und guten Mutes sein; denn dieser dein Bruder war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden. (gekürzt)

Von Matthias Rost

Eine Überschrift versperrt manchmal die Sicht auf einen Text. „Vom verlorenen Sohn“ steht auch in der neuen Lutherbibel wieder über dem Gleichnis. Sicher, bei der Überschrift wissen alle sofort, welcher Text gemeint ist: Ach ja! Den kennt doch jeder. Mir scheint eine solche Überschrift bestenfalls ein Stolperstein zu sein, der dazu verhelfen kann, dass man noch mal genauer hinhört. Welcher der beiden Söhne wäre denn verloren? Der Sohn, der ausgezogen ist und sein Erbe durchgebracht hat? Der ist gerade nicht verloren. Er hat nach Hause gefunden, er wird wiederaufgenommen. Und zwar nicht nur als Tagelöhner, wie er sich’s in der Fremde ausgemalt hatte als letzte Rettung. Nein, er wird umstandslos rehabilitiert. Das ist der unfassliche Moment in dem Gleichnis: Der Vater geht gar nicht auf das Schuldeingeständnis des Sohnes ein, lässt ihn nicht einmal ausreden und seine Bitte vortragen.

Er hält ihm aber auch keine Standpauke. Der Sohn muss keine Strafe verbüßen. Er wird keinem Erziehungsprogramm zur Besserung unterworfen, nicht einmal unter verschärfte Kontrolle gestellt. Er muss sich dem Vater nicht recht machen. Wenigstens etwas davon wäre doch nur recht und billig, oder? Stattdessen wird er neu eingekleidet. Ein Fest wird für das ganze Haus ausgerichtet, und als Sohn mit allen Rechten wird er wieder integriert: Der Fingerring, den er angesteckt bekommt, ist ein Siegelring, der ausgerechnet ihm Vollmacht gibt auch in Finanzgeschäften. Er „war tot und ist wieder lebendig geworden, er war verloren und ist wiedergefunden“ (Vers 32). Im Herzen des Vaters schien er ohnehin nie verloren gewesen zu sein. Denn mit welch einer inneren Bewegung läuft er dem Sohn entgegen, als der noch ferne ist – „es jammerte ihn, und er lief und fiel ihm um den Hals und küsste ihn“ (Vers 20).

Ausgabe kaufen und weiterlesen