Die Berge, von denen die Rede sein soll, gehören zu einer seltenen Art, sie sind sozusagen vom Aussterben bedroht. Und das liegt nicht am Klimawandel. Einige Exemplare kann man noch im Erzgebirge finden – in Privaträumen und in Museen.
Genauer gesagt handelt es sich um Weihnachtsberge. Das sind vielgestaltige, mit großem Einfallsreichtum angefertigte Landschaftsdarstellungen auf mehreren Ebenen. Eine Krippe bildete stets den Ausgangspunkt. Weitere biblische Szenen folgten und schließlich kamen Heimatmotive inklusive Bergwerk dazu. Die darum so genannten Weihnachtsberge sind reinste Volkskunst. Aber selbst im Erzgebirge, dieser Hochburg für Weihnachtshandwerk, werden heute keine neuen Berge mehr errichtet, sondern nur noch alte wiederaufgebaut.
Was heißt nur noch! Tobias Günther aus Crottendorf, das in der Nähe des Kur- und Wintersportortes Oberwiesenthal liegt, weiß, was das Errichten eines Weihnachtsberges in Arbeitsstunden bedeutet. „Für den Aufbau brauche ich rund 14 Tage, denn es fallen immer kleinere und größere Reparaturen an“, erklärt er. Was vor allem an dem Alleinstellungsmerkmal dieser besonderen Berge liegt: Sie sind mechanisch – und wie. „Rund 80 Holzfiguren bewegen sich auf unserem Berg“, informiert Günther. Dazu kommen mehrere Dutzend unbewegliche.
Glockengeläut, Musik und Lichteffekte
Die „Heiligen Drei Könige“ reiten auf die Krippe zu, während Engel vom Himmel schweben. Ein Waldarbeiter hackt Holz und auf der Weide grasen Kühe, die das Maul auf und zu machen. „Ein kleines Mädchen fragte mal, ob auch die Kühe singen würden“, erzählt Tobias Günther lachend. Die illusionistische Wirkung dieses Berges, die mit Chorgesang und Musik, mit Glockengeläut, Lichteffekten und Texten hervorgehoben wird, nimmt einen gefangen – nicht nur Kinder.
Das gelingt so überzeugend, dass man die richtigen Berge, die es im Erzgebirge natürlich auch gibt, für einige Zeit vergisst. Am meisten überrascht das Bergwerk. In der unteren Etage des Berges herrscht reges Treiben. Man sieht etwa Bergleute, die mit Loren das Gestein befördern. Orient und Erzgebirge verstehen sich eben in diesen fiktiven Landschaften.
Am Anfang war der Bergbau. Ohne ihn gäbe es im Erzgebirge keine Weihnachtsberge und nicht eine solche Fülle von weihnachtlichen Handwerkstraditionen. Frank Salzer kennt die Gründe. „Im 18. Jahrhundert schnitzten invalide Bergleute Buckelbergwerke. Die heißen so, weil sie auf dem Rücken getragen wurden.“ Der Holzbildhauer aus Zwönitz zeigt einen dieser historischen Kästen, in denen vom Leben unter und über Tage erzählt wird. „Gegen ein kleines Entgelt drehte der Bergmann an der Kurbel und die Szenen, die Arbeit im Stollen oder das Schmieden von Werkzeug, wurden lebendig“, so Salzer. Dies seien die Vorläufer der Weihnachtsberge gewesen. Natürlich hätten die Bergleute auch kleinere Dinge, Figuren und Spielzeug, geschnitzt, um etwas hinzuzuverdienen.
Wer in der Weihnachtszeit durch das Erzgebirge fährt, wird sich über die unzähligen beleuchteten Hausfassaden, Fenster und Gärten freuen. Ein wahres Lichtermeer. „Licht war die große Sehnsucht der Bergleute. Deshalb stellten ihre Frauen Kerzen in die Fenster, um ihnen den Weg nach Hause zu weisen“, erzählt Salzer. „Die Zeit der traditionellen Weihnachtsbeleuchtung dauert bei uns daher immer etwas länger“, nämlich bis „Mariä Lichtmess“, traditioneller katholischer Feiertag am 2. Februar, dem Tag, an dem früher das Weihnachtsfest endete. Auch wenn der Bergbau längst Geschichte ist.
Überall sieht man Schwibbögen, deren Form das Halbrund des Bergwerkeingangs zitiert, und die sich drehenden Weihnachtspyramiden. „Sie erinnern an das Göpelwerk, eine Vorrichtung, mit der früher das Erz zu Tage gefördert wurde.“ All das erfährt man von Frank Salzer bei so genannten Hutzenabenden, bei denen auch geschnitzt und gesungen wird. Sie finden in der gemütlichen Atmosphäre seines Fachwerkhauses aus dem 18. Jahrhundert statt.
Ein 6,50 Meter breites mechanisches Wunderwerk
Wer sich einen Überblick über die weihnachtliche Volkskunst des Erzgebirges verschaffen möchte, ist in der Annaberger Manufaktur der Träume und im wenige Kilometer entfernten Gelenau richtig. Dort kann man sich aus berufenem Munde in die Geheimnisse eines Weihnachtsberges einführen lassen. Eckart Holler ist sozusagen der Chefmechaniker des Depots Pohl-Ströher. „Unser Schaulager erinnert an die Volkskunst-Sammlerin, die uns ihre Schätze vermacht hat. Und ich verbringe hier meine Freizeit“, sagt der Chemnitzer Ruheständler lächelnd, denn es gebe jeden Tag etwas zu tun, sprich zu reparieren.
Die verstorbene Schweizerin Erika Pohl-Ströher, deren Familie aus dem Erzgebirge stammt, hat als Reminiszenz an ihre Heimat die größte private Volkskunstsammlung im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Heute ist sie im Annaberger Museum und im Depot wissenschaftlich aufbereitet ausgestellt. Eckart Holler war der Agent der Sammlerin vor Ort. Er kaufte die Stücke an. Da versteht es sich fast von selbst, dass der ehemalige Automobilingenieur nun dafür sorgt, dass alles läuft.
Der Volkskunstexperte erzählt, dass er fast immer in Einzelteile zerlegte Weihnachtsberge gefunden oder angeboten bekommen habe. „Und eine Aufbauanleitung gab es natürlich auch nicht.“ Wenn man vor dem mit knapp sechseinhalb Metern Breite größten mechanischen Wunderwerk im Gelenauer Depot steht, kann man ermessen, wie viel Arbeit in Herstellung und Wiederaufbau stecken. Eckart Holler macht auf einen der so genannten Heimatberge aufmerksam. „Die kommen ganz ohne biblisches Geschehen aus“. Statt dessen wird vom Robin Hood des Erzgebirges erzählt. „Etwa 200 bewegliche Teile sorgen für jede Menge Action“, zum Beispiel den Überfall auf eine Postkutsche. Bei einem anderen Heimatberg wurde der Einblick in die Mechanik offen gelassen. Den staunenden Blick in das vermeintlich verworrene Konstruktionsgeflecht kommentiert Holler: „So was macht heute keiner mehr.“
Ein Grund mehr, sich in die vielen Geschichten, die auf den Bühnen dieser letzten Berge ihrer Art erzählt werden, zu vertiefen. Es gibt viel zu entdecken, was in Zeiten digitaler Herausforderungen ein willkommener Anachronismus sein kann. Und schließlich begegnet man auf einem Berg auch einem selbstverständlich beweglichen Skiläufer. Da mag dem Betrachter in den Sinn kommen, dass er sich ja auch sportlich betätigen wollte. Die echten Berge des Erzgebirges sind ja noch nicht vom Aussterben bedroht.
• Tourismusverband Erzgebirge, Telefon (0 37 33) 1 88 00-88, Internet:www.erzgebirge-tourismus.de.
• Museum Manufaktur der Träume, Internet: www.annaberg-buchholz.de
• Weihnachtsschau im Depot Pohl-Ströher (bis 28. Januar), Internet: www.lopesa.de.
• Weihnachtsberg in Crottendorf, (bis 2. Februar), Internet: www.weihnachtsberg-crottendorf.de.
• Hutzenabende bei Frank Salzer, Telefon (03 77 54) 7 58 44, Internet: www.salzerhaus.de.