Berlin – Rund acht Wochen nach der Bundestagswahl ist noch keine neue Regierungsmehrheit in Sicht. Nach den gescheiterten Sondierungsgesprächen zwischen Union, FDP und Grünen appellierte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier an die Parteien, weiter über eine Regierungsbildung zu verhandeln. Er erwarte von allen Gesprächsbereitschaft, um diese in absehbarer Zeit möglich zu machen, sagte Steinmeier in Berlin. Die wochenlangen Sondierungen für eine Jamaika-Koalition waren von der FDP abgebrochen worden.
Steinmeier: Gemeinwohl im Auge behalten
Dies sei der Moment, in dem alle Beteiligten noch einmal innehalten und ihre Haltung überdenken sollten, sagte Steinmeier. Der Auftrag der Wähler, eine Regierung zu bilden, bleibe. Es sei eine „Verantwortung, die man nicht einfach an die Wählerinnen und Wähler zurückgeben kann“, mahnte der Bundespräsident nach einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Schloss Bellevue.
Er werde Gespräche mit Vertretern von Union, FDP und Grünen sowie mit Vertretern von Parteien, bei denen „programmatische Schnittmengen“ nicht ausgeschlossen seien, führen, kündigte Steinmeier an. Rechnerisch hätte auch eine erneute große Koalition aus Union und SPD im Bundestag eine Mehrheit.
Der Bundespräsident kann im Falle einer gescheiterten Regierungsbildung nach Artikel 63 Grundgesetz den Bundestag auflösen und damit Neuwahlen möglich machen. Den Zeitpunkt sieht Steinmeier aber noch nicht gekommen. Er appellierte an die Parteien, das Gemeinwohl im Blick zu behalten. Der Auftrag, eine Regierung zu bilden, gehe „weit über die eigenen Interessen hinaus“ und gelte nicht nur gegenüber Wählern der eigenen Partei, betonte Steinmeier.
Der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, unterstützte Steinmeiers Appell und forderte eine rasche Regierungsbildung. „Ich hoffe und bete, dass die Politik in Berlin sich ihrer Verantwortung bewusst ist und alles dafür tut, möglichst bald eine am Gemeinwohl orientierte Regierung auf den Weg zu bringen“, sagte Marx auf Anfrage. „Dazu müssen alle Anstrengungen unternommen werden“, unterstrich Marx.
Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Thomas Sternberg, rief CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne auf, ihrer demokratischen Verantwortung gerecht zu werden und weiterhin ernsthaft nach Wegen zu einer stabilen Regierungsmehrheit zu suchen. „Sie tragen hier eine gemeinsame staatspolitische Verantwortung“, erklärte Sternberg. Er äußerte sich auch mit Blick auf den hohen Stimmenanteil der rechtspopulistischen AfD.