Von Lisa Konstantinidis
Strikt durchorganisierte Kühlschränke, tadellose Wohnzimmer und alphabetisch geordnete Bücher – was auf den ersten Blick nach Werbefotos aussieht, entpuppt sich als wachsender Trend in den Sozialen Medien. Auf YouTube fordern unzählige Videos dazu auf, vornehmlich jungen Frauen dabei zuzusehen, wie sie staubsaugen, wischen, spülen, Wäsche zusammenlegen oder ihren Hausstand verkleinern. Einige dieser Videos wurden bereits über 100 000-mal angeklickt.
Anleitungen dafür, wie der eigene Haushalt am besten auf Vordermann gebracht werden kann, bieten diverse Ordnungs-Gurus: Die zurzeit bekannteste ist Marie Kondo, der der Streamingdienst Netflix eine eigene Doku-Serie („Aufräumen mit Marie Kondo“) gewidmet hat. Die Autorin aus Japan verspricht mit der nach ihr benannten Konmari-Methode langfristige Erfolge, um das Chaos zu beseitigen – und nur noch Dinge zu besitzen, die Freude bereiten.
Aber woher kommt dieser Ordnungstrend, der sich im Internet und in den Wohnungen breitmacht? Ordnungsexpertin Ursula Kittner hilft Menschen seit fünf Jahren dabei, Ordnung in ihr Leben und ihren Haushalt zu bringen. Sie meint: „Den Ordnungstrend gibt es schon länger, Marie Kondo hat das aber befeuert. Auch wegen ihrer Netflix-Serie.“ Die japanische Autorin habe das Aufräumen zwar nicht erfunden, präsentiere den Prozess aber in einer Art und Weise, die die Menschen fasziniere.
Vor einigen Jahren hatte der evangelische Pfarrer Werner Tiki Küstenmacher ähnlichen Erfolg, allem voran mit seinem Buch „Simplify your life“ (Vereinfache dein Leben). Simplify steht für einen einfachen Weg zu einem bewussten und erfüllten Leben in einer komplexen Welt.
Der gesteigerte Konsum hat seinen Anteil am Megatrend Aufräumen. Ursula Kittner erlebt, dass die schiere Menge an Besitztümern bei vielen ihrer Kunden das Bedürfnis weckt, sich das Leben leichter zu machen und wieder zu sich selbst zu finden. Das eigene Zuhause auszumisten und aufzuräumen sei ein erster Schritt in die richtige Richtung. Gesundheitliche Probleme sowie privater oder beruflicher Stress könnten den Wunsch nach weniger Dingen und mehr Zeit für sich selbst zusätzlich bestärken, so die Beraterin aus Düsseldorf.
Bleibt dennoch die Frage, warum erwachsene Menschen sich offenbar gerne vorschreiben lassen, wie sie aufzuräumen haben. Greifen Autoren wie Kondo in ihren Ordnungsbibeln doch häufig auf strikte Systeme zurück, wie genau die Ordnung wie-derhergestellt und erhalten werden soll. Für Kittner ist die Sache klar: „Meiner Erfahrung nach sind viele Menschen schlicht überfordert, die vielen Dinge ihres Lebens zu ordnen. Von Marie Kondo bekommen sie eine klare Anleitung zum Handeln.“
Ordnung in den eigenen vier Wänden zu schaffen, kann auch der Beginn einer größeren Veränderung sein, ist sich die Expertin sicher. Während des Aufräumprozesses stelle sich nämlich oft eine ganz grundlegende Frage: Was will ich eigentlich im Leben?
Aus einer anderen Perspektive betrachtet die Philosophin Nicole C. Karafyllis das Thema: In ihrem Buch „Putzen als Passion“ (2013) stellt sie fest, dass es sich beim Putzen um eine Kulturtechnik handelt, die mit Leidenschaft ausgeübt werden sollte.
Der Hype ums Aufräumen ruft aber auch kritische Stimmen auf den Plan: Kondo wird bisweilen vorgeworfen, dass ihre Ideen wenig innovativ seien und ihr Konzept nicht die Ursache des großen Chaos‘ beseitige – sprich den maßlosen Konsum, der sich in vollgestopften Zimmern und Garagen manifestiert.
Aus welchen Gründen sich jemand entscheidet, seinen Haushalt einer Grundreinigung zu unterziehen – wegen eines Trends, reiner Routine oder der simplen hygieni-schen Notwendigkeit –, einen ordnungstechnischen Rundumschlag in kurzer Zeit hält Ordnungsexpertin Kittner jedenfalls für wenig realistisch. Sie rät vielmehr zu dem Motto: Gut Ding will Weile haben. Und unterschiedliche Menschen brauchen unterschiedliche Konzepte fürs Aufräumen.