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Enkelin entdeckt unbekannte Texte und Musik von Heinz Erhardt

© epd-bild / akg-images

Fans von Heinz Erhardt dürfen jubeln. Im Oktober bekommen sie einen Leckerbissen aus der Feder des Komikers, Dichters und Pianierers. Wie die „Bild am Sonntag“ (BamS) berichtet, hat Erhardts Enkelin Nicola Tyszkiewicz aus seinem Archivnachlass einen Schatz gehoben: ungeordnete, vergilbte, eng beschriebene Notenblätter; unveröffentlichte Texte und Lieder aus den 1920er und 1930er Jahren. Sie stammen aus seiner Jugendzeit, als noch keine Karriere „am Klavizimbel“ abzusehen war.
Über 40 Jahre schlummerten die Notizen als Bündel verschnürt auf dem Dachboden. Nach dem Verkauf des Hauses in Hamburg-Wellingsbüttel wanderte es unbeachtet ins Musikarchiv – um nun neu entdeckt zu werden. Das Material wurde gesichtet und ausgewählte Stücke mit der NDR-Bigband und Stars wie Axel Prahl und Wotan Wilke Möhring eingespielt. Als Erscheinungsda­tum wird der 24. Oktober angegeben.
Das Multitalent Erhardt steht im kollektiven Gedächtnis bis heute vor allem für den „Willi Winzig“ der Wirtschaftswunderzeit. Doch er war viel mehr: ein leiser Literat, ein Schelm, ein Pianist mit List. Wenn der US-Kollege Groucho Marx einst witzelte, er besitze mit „Geheimnisse der britischen Küche“, „Italienische Kriegshelden“ und „Tausend Jahre deutscher Humor“ die drei kürzesten Bücher der Weltliteratur, so strafte ihn Erhardt Lügen. Sein nie enden wollender Wortwitz ließ ihn immer „noch‘n Gedicht“ verfassen.

Hintersinnige Wortverdrehungen

Erhardts Humor basiert auf hintersinnigen Wortverdrehungen. Sein lyrisches Talent, das sich „klas-sisch-erstklassisch“, „tierisch-satirisch“ oder in verblüffend pointierten Vierzeilern äußern konnte, erklärt er selbst ganz profan: Eines Tages sei ihm eine gute Fee erschienen und habe gefragt, was er denn einmal werden wolle. Und er habe mit Blick auf seine etwas feuchten Windeln entgegnet: „Liebe Tante, ich möchte‘ gern dichter werden.“
Der Weg dahin war allerdings nicht schnurgerade. Seinen Geburtstag 1909 in Riga beschrieb er selbst so: „Es war an einem 20. Februar. Das Thermometer zeigte 11 Grad minus und die Uhr 11 Uhr vormittags, als vor unserem Haus das Hauptwasserrohr platzte. Im Nu war die Straße überschwemmt und im gleichen Nu gefroren. Die umliegenden Kinder kamen zuhauf, um auf ihren Schuhen schlitt zu laufen. Ich selbst konnte mich an diesem fröhlichen Treiben nicht beteiligen, weil ich noch nicht geboren war. Dieses Ereignis fand erst gegen Abend statt. Und da war die Eisbahn längst gestreut und unbrauchbar geworden. Das Eislaufen habe ich bis heute nicht gelernt.“
Die Kindheit bei den Großeltern in Riga, herumgeschoben zwischen den getrennt lebenden Eltern; insgesamt 15 Schulwechsel, die ihn letztlich das Abitur schmeißen ließen. In einem Internat bei Hannover entstanden 1921/23 die ersten der nun aufgefundenen Werke. Lustlos blieb er als Musikalienhändler im großväterlichen Geschäft; lustvoller dagegen, auf den Ins­trumenten im Laden zu spielen und zu komponieren.
Die Liebe seines Lebens, Gila, lernte Erhardt nach eigener Schilderung 1934 in einem Rigaer Fahr-stuhl kennen – dem Jahr der jüngsten Neufunde. Die Diplomatentochter schickte ihn erst nach oben, dann nach Berlin, wo er schließlich kurz vor Kriegsausbruch am renommierten „Kabarett der Komiker“ reüssierte. Zeitlebens blieb seine Ehefrau die entscheidende Testperson für die Pointen des selbstkritischen Perfektionisten und stets lampenfiebernden Künstlers.
Viel bekannter noch als seine ausgefeilten Live- und TV-Auftritte sind dem breiten Publikum seine Filmrollen mit der schwarzweißen Piefigkeit der 1950er Jahre. In der „Komiker“-Ecke immer ein wenig unterschätzt, steht er in einer Reihe mit Erich Kästner, Wilhelm Busch, Ringelnatz, Morgenstern. Die Namen fallen oft, wo man seine Gedichte vom Alten Fritz, der Nase, den alten Zähnen oder dem Pechmariechen rezitiert. So blieb er, „auch wenn‘s mir schwer ward“, immer der Heinz Erhardt.
1971 verlor er bei einem Schlaganfall seine Fähigkeit zu sprechen und zu schreiben – eine Tragödie für den Wortartisten. Erhardt zog sich ins Privatleben zurück. Vier Tage vor seinem Tod am 5. Juni 1979 ehrte ihn die Bundesregierung mit dem Großen Bundesverdienstkreuz. Nun, 40 Jahre danach, erscheint sein neues Album.