Zum Abschluss der Amtszeit von US-Präsident Joe Biden mahnen Menschenrechtler eine Entscheidung im Fall Guantánamo an: Der von den US-Streitkräften betriebene Gefängniskomplex auf Kuba müsse geschlossen werden. Kürzliche Maßnahmen von Verteidigungsminister Lloyd Austin bekräftigen allerdings den Status quo. In der international angeprangerten Einrichtung inhaftieren die USA seit mehr als zwei Jahrzehnten Terrorverdächtige, vorwiegend aus muslimischen Nationen.
Gegenwärtig befinden sich dort 30 Inhaftierte, darunter der mutmaßliche Planer der Terroranschläge vom 11. September 2001, Khalid Sheikh Mohammed. Präsident George W. Bush hatte den Guantanamo-Gefängniskomplex 2002 als Reaktion auf die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Verteidigungsministerium in Betrieb genommen. Pressefotos zeigten Gefangene in orangefarbenen Anzügen in Käfigen. 779 Männer wurden eingesperrt, manche nach schrecklichen Folterungen in CIA-Geheimgefängnissen.
Guantánamo gilt als rechtsfreier Raum
In Guantánamo leben Inhaftierte in einem rechtsfreien Raum ohne verlässlichen Zugang zu US-Gerichten. Militärkommissionen sollen über ihre Strafen entscheiden. Amnesty International (USA) forderte Biden dazu auf, umgehend alle Inhaftierten, denen keine Verbrechen vorgeworfen werden, an Drittländer zu überstellen. In diese Kategorie fallen 16 Männer, die nach Darstellung der Gerichtsbarkeit in Guantánamo entlassen werden könnten. Angeblich wurden jedoch noch keine Aufnahmeländer gefunden.
Vier Männer in Guantánamo sind laut der „New York Times“ verurteilt worden. Drei weitere gelten aus „Sicherheitsgründen“ als nicht entlassbar. Gegen sieben Männer liegen Anklagen bei der Militärkommission vor. Da schien es vorübergehend Fortschritte zu geben. Am 31. Juli wurde bekannt, dass Khalid Sheikh Mohammed und zwei weitere Häftlinge Vereinbarungen mit der Militärkommission geschlossen hatten: Danach soll es angeblich nach einem Geständnis keinen Prozess geben, aber lebenslange Haft. In diesem Rahmen müsste sich die US-Regierung keine peinlichen Fragen über Folter gefallen lassen.
Guantánamo: US-Regierung verpasst Chance
US-Verteidigungsminister Austin legte dem nun Steine in den Weg. Ende November betonte er laut der „New York Times“ in einem Memo, dass er allein bei Absprachen mit Guantánamo-Häftlingen zuständig sei. Bereits im August widerrief Austin die Zusage zu den Vereinbarungen mit den drei Häftlingen. Der Rechtsverband ACLU protestierte, Austin habe eine Chance verpasst. „Zweifellos“ würden die Strafprozesse nun weitere Jahre dauern und zu keinem gerechten Resultat führen.
Die Schließung des Lagers wäre nach Ansicht der Direktorin des „Zentrums für Nationale Sicherheit“ an der „Fordham Universität“ in New York City, Karen Greenberg, auch im Interesse der US-Regierung. Die USA könnten ihre „Identität als führender Befürworter“ internationalen Rechts wieder erlangen, sagte die führende Guantánamo-Expertin dem Evangelischen Pressedienst (epd). Eine Schließung von Guantánamo würde signalisieren, dass der globale Krieg gegen den Terrorismus vorbei ist.
Nach Ansicht von Greenberg fehlte in den USA bislang der „politische Willen“, Guantánamo zu schließen. Der demokratische Präsident Barack Obama hatte 2009 die Schließung binnen eines Jahres in Aussicht gestellt. Inhaftierte sollten in Hochsicherheitsgefängnisse verlegt werden. Obama konnte sich nicht durchsetzen. Bidens Regierungssprecherin sagte im Februar 2021, es sei Bidens „Ziel und Absicht“, das Lager aufzulösen.
Schließung von Guantánamo äußerst fraglich
Bei der Eröffnung von Guantánamo hieß es, dorthin kämen die „Schlimmsten der Schlimmen“. Diese These ist zusammengebrochen. Die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte im April 2011 geheime Guantánamo-Dokumente. In diesen „Detainee Assessment Briefs“ analysierten US-Militärs die Gefährlichkeit der Einsitzenden. Viele seien aufgrund fragwürdiger Zeugenaussagen festgenommen worden. Und die allermeisten Häftlinge wurden bekanntermaßen im Laufe der Jahre entlassen.
Trotz anhaltender internationaler Kritik und Menschenrechtsbedenken zeichnet sich keine baldige Schließung des umstrittenen Lagers ab. Der wiedergewählte US-Präsident Donald Trump hatte in seiner ersten Amtszeit mitgeteilt, Guantánamo sei „legal, gesichert, menschlich und vereinbar mit US-amerikanischem und internationalem Recht“. Es wäre rechtmäßig, bei Bedarf „zusätzliche Häftlinge“ dorthin zu verlegen, sagte der Republikaner.