Die Geschichte ihrer Familie ist selbst einen Roman wert. Und obwohl die Bronte-Schwestern eher zurückgezogen lebten, brachten sie Literatur von Weltrang hervor; dabei kam Emilys “Sturmhöhe” zunächst gar nicht gut an.
“Der Leser ist schockiert und fast angeekelt von den Details an Grausamkeit, Unmenschlichkeit, teuflischstem Hass und Rache”, schrieb ein Kritiker 1848 über “Wuthering Heights” (“Sturmhöhe”). Und doch ist es einer der bemerkenswertesten Romane der englischen Literatur, verfasst von einer erstaunlichen Frau. Wie aber konnte die zurückgezogen lebende Tochter eines Landgeistlichen ein so ungewöhnliches Werk erschaffen? Auch 175 Jahre nach ihrem Tod regt Emily Bronte zum Grübeln an.
Fest steht, dass sie am 30. Juli 1818 in eine Familie von Schreibtalenten hineingeboren wird. Sie kommt als fünftes von sechs Kindern des irischen Pfarrers Patrick Brunty und seiner Frau Maria in Thornton (Yorkshire) zur Welt. Der Vater änderte seinen Namen zu Bronte, auf Griechisch soviel wie “Donnern”. Das kann der Mann mit dem derben Humor. Die große, dunkelhaarige, eigenwillige Emily steht dem Vater am nächsten.
Mit drei Jahren verliert Emily ihre Mutter, vier Jahre später ihre beiden ältesten Schwestern. Fortan bildet sie mit Charlotte, Anne und dem Bruder Branwell eine exklusive Gemeinschaft. Ihre Spielplätze sind das Moor im Dorf Haworth, wo sie seit 1820 leben, und die eigene Fantasie: Für ihre imaginäre Welt “Gondal” verfassen sie Gedichte und Geschichten. Emily geht insgesamt nur wenige Monate zur Schule, doch besucht sie mit Mitte 20 ein Pensionat in Brüssel, weil sie mit Charlotte eine Schule eröffnen will; wozu es nicht kommen sollte.
Ab 1847 veröffentlichen die Schwestern auf Charlottes Initiative ihre Werke – unter männlichen Pseudonymen, um überhaupt einen Verlag zu finden. Und so erscheinen zunächst Gedichte, dann unter anderem die Romane “Jane Eyre” von Currer Bell (Charlotte), “Die Herrin von Wildfell Hall” von Acton Bell (Anne) sowie Emilys (Ellis Bell) “Sturmhöhe”.
Der Plot: Der Waisenjunge Heathcliff wird vom Besitzer des Anwesens “Sturmhöhe” adoptiert. Dessen Sohn Hindley reagiert eifersüchtig, während sich Tochter Catherine zu dem rätselhaften Jungen hingezogen fühlt. Nach dem Tod des Gutsherrn beginnt Hindley, den verhassten Adoptivbruder offen zu demütigen. Catherine heiratet ihren wahren Gefühlen zum Trotz “standesgemäß” den reichen Edgar. Heathcliff verschwindet tief verletzt und taucht Jahre später rachedurstig wieder auf. Es gelingt ihm mit teuflischen Ränken, beide Familien zu zerstören und beide Anwesen an sich zu bringen. Catherine stirbt voll Gram – und kehrt als Geist zurück.
Was teils wie ein Schauermärchen klingt, ist psychologisch hochdiffizil angelegt. Insbesondere die Figur des Heathcliff bietet schier unbegrenzten Raum für Interpretationen. Hat ihn soziale Zurückweisung zu einem “bösen” Menschen gemacht? Oder war er dies von Geburt? Manche Deutungen sehen in dem oft als “dunkel” oder “schwarz” Beschriebenen das zurückgelassene Kind fahrenden Volks, jüngere Lesarten als Schwarzen, der rassistischen Anfeindungen ausgesetzt war.
Bemerkenswert ist auch die moderne Erzählweise: Emily Bronte lässt die alte Hausangestellte Nelly das Geschehen aus der Erinnerung schildern. Als zweiter Erzähler kommt Heathcliffs junger Pächter Lockwood ins Spiel. Damit erlebt das Lesepublikum die Handlung wie durch ein doppeltes Fenster; die Autorin tritt in den Hintergrund. Moralische Beurteilungen der für das viktorianische Publikum teils abstoßenden Vorgänge liefert die Pfarrerstochter nicht.
Der Roman wurde bis heute gut zwanzigmal verfilmt, als Hörspiel und Oper inszeniert sowie immer wieder neu übersetzt. Seit die britische Sängerin Kate Bush 1978 ihren Debutsong “Wuthering Heights” samt Musikclip veröffentlichte, ist das Buch auch Teil der Popkultur. Jährlich versammeln sich am “Most Wuthering Heights Day Ever” Fans auf der ganzen Welt, um wie Kate Bush im roten Kleid zu tanzen.