Um viele Fragen der angestrebten Lösung für ein Ende des Ukraine-Kriegs wird noch gerungen. Immerhin die Themen Kirche und Sprache gelten als erledigt. Beide führte Russland einst als Kriegsgrund an.
Wenn sich der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Montag in Berlin mit Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) trifft, geht es um Fragen wie: Welche ukrainischen Gebiete behält Kiew, welche werden Moskau zugesprochen? Wie wird die Ukraine vor einem erneuten Überfall geschützt? Abends sollen weitere europäische Staats- und Regierungschefs sowie die Spitzen von EU und Nato dazukommen, um den Kurs zur Beendigung des russischen Angriffskriegs abzustimmen.
Ausgangspunkt der Verhandlungen ist der 28-Punkte-Plan, den die Regierung von US-Präsident Donald Trump vor mehr als drei Wochen vorlegte. Dieser forderte von der Ukraine große Gebietsabtretungen und las sich an zahlreichen Stellen wie aus russischer Feder. “Jegliche Naziideologie und nazistische Aktivitäten müssen abgelehnt und verboten werden”, stand US-Medien zufolge zum Beispiel unter Punkt 20.
Zwei Sätze davor enthielt der Plan demnach folgendes Bekenntnis zur Religionsfreiheit: “Die Ukraine wird die EU-Vorschriften zur religiösen Toleranz und zum Schutz sprachlicher Minderheiten übernehmen.” Trotz aller Schwierigkeiten – in dieser Frage sind sich Trump und Selenskyj offenbar einig. Das Thema scheint abgehakt, für Moskau wahrscheinlich ebenso.
Selenskyj sagte jüngst, auch in Bezug auf die als moskaunah kritisierte Ukrainische Orthodoxe Kirche (UOK) und die russische Sprache respektiere Kiew in seinem 20 Punkte langen Textentwurf internationale Regeln. “Wir haben unseren Vorschlag so formuliert, dass die Ukraine in Zukunft Mitglied der Europäischen Union sein wird”, so der Präsident. Also halte man sich bei diesen Dingen an das EU-Recht. Die genauen Worte des eigenen Dokuments veröffentlichte Selenskyj ebenso wenig wie die US-Regierung.
Das Thema ist keine Kleinigkeit. Kremlchef Wladimir Putin hatte den russischen Angriff auf die ganze Ukraine im Februar 2022 nicht zuletzt mit der Kirchen- und Sprachenpolitik des Kriegsgegners begründet. Per Gesetz habe Kiew die russische Sprache aus den Schulen und dem gesamten öffentlichen Leben verbannt, behauptete er damals. Die orthodoxe Kirche des Moskauer Patriarchats werde in der Ukraine verfolgt.
Der ukrainische Experte Dmytro Wowk ist davon überzeugt, dass Putin die Kirche als Kriegsgrund vorschiebe, aber in Wirklichkeit die Ukraine unter seine Kontrolle bringen wolle. “Religion ist Teil der russischen Erzählung von einer vom Westen unterstützten Ukraine als Anti-Russland, aber nicht der wichtigste Teil”, sagte der Direktor des Zentrums für Rechtsstaatlichkeit und Religionswissenschaft der Nationalen Juristischen Universität in Charkiw der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). “Für Putin geht es in diesem Krieg keineswegs um Religion und Sprache.”
Wowk geht davon aus, dass beide Kriegsparteien mit der Formulierung, die Ukraine übernehme die EU-Vorschriften, gut leben können. “Putin kann so sagen, dass dadurch die russischsprachige und russisch-orthodoxe Bevölkerung geschützt wird. Die Ukraine kann ebenso sagen, sie müsse die UOK und die russische Sprache nicht besonders schützen, weil das die europäischen Bestimmungen nicht verlangen”, so der Jurist, der zurzeit in New York lehrt.
Brüssel beobachtet selbst, wie die Ukraine ihr neues Gesetz umsetzt, das religiöse Organisationen verbietet, die mit der russisch-orthodoxen Kirche verbunden sind. Die EU-Kommission verlangte im November in ihrem Bericht über den Beitrittsprozess der Ukraine, dass Kiew in dieser Frage die internationalen Standards für Religions- und Glaubensfreiheit einhält. Die ukrainische Regierung versicherte das mehrfach. Sie argumentiert, die kremltreue russische Kirche bedrohe mit ihrer Kriegsunterstützung die nationale Sicherheit.
Eine Frage bleibt: Warum bestehen Washington und die EU-Regierungen – zumindest in der Öffentlichkeit – nicht auf Religionsfreiheit in den von Putin annektierten ostukrainischen Regionen? Im US-Plan fehlte der Punkt. Die russischen Besatzungsbehörden verfolgten beispielsweise griechisch-katholische Priester und hielten zwei von ihnen eineinhalb Jahre gefangen. Es gibt dort fast nur noch eine christliche Konfession: die russisch-orthodoxe Kirche. Das UN-Menschenrechtsbüro OHCHR stellte in seinem jüngsten Ukraine-Bericht erneut fest: “Die Bewohner der besetzten Gebiete waren weiterhin Einschränkungen ihrer Meinungs- und Religionsfreiheit ausgesetzt.”