„Neue große Nöte bedürfen neuer, mutiger Gedanken.“ Das war das Lebensmotto von Friedrich von Bodelschwingh. Ganz im Sinne christlicher Nächstenliebe kümmerte er sich im ausgehenden 19. Jahrhundert um die Menschen am Rand der Gesellschaft, die Notleidenden, die Kranken und Gebrechlichen, die Ausgegrenzten.
Der evangelische Theologe prägte mit seinen Ideen und seiner Tatkraft das vor 150 Jahren am 2. April 1867 als „Rheinisch-Westfälische Anstalt für Epileptische“ in Bielefeld gegründete Werk, Keimzelle der heutigen nach ihm benannten v. Bodelschwinghschen Stiftungen Bethel, dessen Leitung er 1872 übernahm.
Wenn gelegentlich von Diakonie als „sozialer Arm der Kirche“ die Rede ist, denken viele zuerst an dieses heute in mehreren Bundesländern tätige große Diakoniewerk mit all seiner Professionalität in der Alten-, Kranken- und Behindertenhilfe. Und gilt Friedrich von Bodelschwingh als das große Vorbild für christliches Hilfehandeln.
Unternehmen wie Bethel, die in vielfältiger Weise auf dem Sozialmarkt agieren, prägen das öffentliche Bild von Diakonie. Diakonie als Institution. Als Marke. Als feste Größe in unserer Gesellschaft. Eine, die im Gesundheits- und Sozialsektor vernehmbar ihre Stimme erhebt. Die in großen Verbänden wie die Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe organisiert sich in ihrer Rolle als Anwalt der Schwachen auf der politischen Bühne Gehör verschafft, Missstände anprangert.
Diakonie ist aber auch all das, was Kirchengemeinden Menschen in ihrem unmittelbaren Umfeld an Hilfen und Zuwendung geben. Was da vielerorts in jüngster Zeit ehrenamtlich insbesondere in der Flüchtlingsarbeit geschieht, ist Teil dieser „Gemeindediakonie“. Auch die Tafelarbeit, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgt, ist zu nennen. So manche Kirchengemeinde betreibt Kleiderkammern, wo sich Gemeindeglieder einbringen. Oder ein Gemeindecafé, das Menschen miteinander in Kontakt bringt. Auch Besuchs- und Fahrdienste gehören zu dem vielfältigen Spektrum an Aktivitäten.
Die Triebfeder aller gemeindediakonischen Arbeit ist dabei dieselbe, die einst auch Friedrich von Bodelschwingh zum Handeln veranlasste, ist dieselbe großer Diakoniewerke wie Bethel: Barmherzigkeit, Nächstenliebe. Wurzelnd in einer christlichen Grundhaltung, die im Sinne des neutestamentlichen „Dienet einander“ in all ihrem Tun um die eigene Hilfebedürftigkeit weiß.
Gemeindediakonie und institutionalisierte Diakonie sind im Grunde eins. Sind wie eineiige Zwillinge. Ihr Erbgut ist identisch. Die unter dem Stichwort „Sozialraumorientierung“ politisch angestrebte wohnortnahe Versorgung der Menschen bietet Chancen, das (wieder) erkennbar zu machen. So kann der in Diakonieunternehmen bisweilen verblasste christliche Impuls im Zusammenwirken mit den Ortsgemeinden neu belebt werden. Umgekehrt können die Ortsgemeinden aus dem Kontakt neue Impulse für ihre diakonische Arbeit erhalten.
Auf beiden Seiten kann sich da noch viel bewegen (Seiten 10,11).
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Eineiige Zwillinge
Große Diakoniewerke und Kirchengemeinden können im Lebens- und Wohnumfeld der Menschen viel bewegen, wenn sie aufeinander zugehen