Susanne Panters Oma fragte zeit ihres Lebens vergeblich nach ihrem Vater. Das und der Krieg nahmen ihr die Kraft zu leben. Dennoch scheint die beiden Frauen ein enges Band zu verbinden – und ein Auftrag.
“Für meine Oma Hilde. Ich hätte dich gerne kennengelernt” – Susanne Panter hat ihrer Großmutter ihr Buch “Ich spüre das, was ihr nicht sagt” gewidmet. Panter arbeitet als Herkunftsberaterin und schildert darin auch Beispiele aus ihrer langjährigen Arbeit.
Unter ihren Klienten sind immer wieder Menschen, die Familiengeheimnisse und -tabus aufarbeiten möchten, auch aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. “Das ist noch nicht so lange her; die Bugwelle ist noch immer zu spüren”, sagt die 57-Jährige. “Menschen haben Fragen, sie wollen etwas aufklären oder eine Situation auflösen”, erläutert die Frankfurter Beraterin, die beide Seiten kennt.
Auch ihre Familie ist von Kriegstraumata belastet. “Meine Oma war sehr verzweifelt, dass sie nicht wusste, wer ihr Vater war.” Im Zweiten Weltkrieg habe sie zudem noch Flucht und Vertreibung aus ihrer pommerschen Heimat erlebt – zu viel für sie. “Meine Oma ist dann freiwillig aus dem Leben gegangen, das ist das schwere Trauma in meiner Familie”, sagt Panter. Von einem Trauma spricht man, wenn ein Mensch ein Ereignis emotional nicht verarbeiten kann und deshalb verdrängt. Bei ihren Großeltern habe es “eine Kultur des Verdrängens und Verschweigens” gegeben; Panter hatte das Gefühl einer “vernebelten Familiengeschichte”.
Aber nicht nur diffuse Gefühle über Nichtgesagtes prägen die Generation der Kriegskinder und der sogenannten Kriegsenkel, also deren Nachfahren. Auch chronische Schmerzen ohne Befund, Schlaf- und Essstörungen, Depressionen und Ängste können auf Kriegstraumata hindeuten. Laut Forschungen können diese über epigenetische Strukturen – ähnlich der DNA – in die folgenden Generationen übertragen werden.
Panter beobachtet bei vielen ihrer Klienten zudem eine besondere Mentalität – extreme Bescheidenheit, das Wegdrücken eigener Bedürfnisse, ein Unsichtbarsein und Nichtstörenwollen. Sie seien von der traumatisierten Kriegsgeneration nach dem Ideal der damals weit verbreiteten schwarzen Pädagogik mit fehlender emotionaler Nähe erzogen worden.
Probleme, Beziehungen zu knüpfen und zu halten, anderen zu vertrauen, beruflich nicht Fuß fassen zu können, ein fehlendes Selbstwertgefühl oder ein ausgeprägtes Kontroll-Bedürfnis – dies alles können Zeichen sein, “dass es in der eigenen Familie etwas aufzuarbeiten gibt”, so Panter.
Eine Erfahrung, die auch Peggy Patzschke in ihrem autobiografischen Roman “Bis ans Meer” beschreibt. Immer wiederkehrende Beziehungsprobleme brachten die Journalistin ins Grübeln, woher diese stammen könnten. “Warum schlage ich so aus der Art, und wovor laufe ich eigentlich weg? Nie kann ich den Dingen ihren Lauf lassen. Muss immer alles kontrollieren, alles im Griff haben… Damit ich sicher bin.” Sie ahnt, dass ihre Probleme mit den Kriegserlebnissen ihrer Großmutter zusammenhängen könnten.
Selbst wer die Geschichte der eigenen Vorfahren nicht kenne, könne sie fühlen – “und das macht die Sache so kompliziert”schreibt Patzschke. Man wundere sich, plötzlich Dinge zu empfinden, “die wir uns nicht erklären können”, gerate immer wieder in ähnliche Krisen oder stehe sich selbst im Weg auf eine Art und Weise, “die uns verzweifeln lässt. Alles ohne zu ahnen, dass die Wunden und Sehnsüchte derer, die vor uns waren, nicht verloren gehen. Sie wandern durch Generationen. So lange, bis wir uns ihnen widmen und damit den Teufelskreis durchbrechen.”
So war es auch bei Susanne Panter. Über viele Jahre ist die ausgebildete Mediatorin über eigene Recherchen und Aufstellungsarbeit ihrer Familiengeschichte auf die Spur gekommen. Zur professionellen Herkunftsberatung sei sie eher durch Zufall gekommen, “das habe ich eigentlich nie machen wollen”, räumt sie ein.
Um Klassentreffen zu organisieren und ehemalige Schülerinnen und Schüler zusammenzubringen, gründete sie im Jahr 2000 Deutschlands ersten privaten Personensuchdienst. Sie hat aber immer mehr Aufträge bekommen, verloren gegangene Familienangehörige zu suchen. Seit 25 Jahren hilft sie nun Menschen bei der Aufklärung ihrer biologischen Abstammung, etwa bei Adoptionen. “Das ist fast schon eine Manie bei mir”, sagt die Beraterin.
Auch in jahrelange Recherchen über den Namen ihres Uropas ist inzwischen Bewegung gekommen. Erst vergangenes Jahr sei in einem Hamburger Archiv die Vormundschaftsakte ihrer Uroma über ihre Oma gefunden und Akteneinsicht gewährt worden. “Nach eigenen Recherchen sind wir jetzt kurz davor, die Vaterschaft bei meiner Oma aufzuklären – da fügt sich endlich ein Puzzle zusammen.”