Die Erwartungen an die UN-Klimakonferenz, die noch bis zum 14. Dezember in Kattowitz tagt, sind gering. Klimaschutz hat aktuell in der Weltpolitik einen schweren Stand. Einer, der sich jedoch dafür einsetzt, ist Dirk Messner. Fünfzehn Jahre lang war er Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn. Anfang Oktober hat der 56-Jährige sein Büro ein paar Meter weiter entfernt bezogen. Im „Langen Eugen“, dem früheren Abgeordnetenhochhaus in Bonn, leitet er seitdem das Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen. Mit ihm sprach Joachim Heinz.
Herr Messner, der Supersommer 2018 wollte fast nicht enden. Auch der Oktober kam mit T-Shirt-Temperaturen daher. Zeichen dafür, dass uns der Klimawandel endgültig erreicht hat?
Wir können in der Klimaforschung den allgemeinen Trend der globalen Erwärmung nicht rückkoppeln mit Einzelereignissen. Aber wenn Sie sich die letzten zwei Jahrzehnte anschauen, dann haben wir in diesen 20 Jahren 16 oder 17 globale Hitzerekorde erreicht.
Das heißt?
Wir haben einen sehr stabilen Trend in Bezug auf die Erwärmung des Planeten. Und aus dieser Perspektive müssen wir uns auch diesen Sommer anschauen. Wir haben beispielsweise große Probleme mit weltweiten Dürreperioden. Das Abschmelzen der Gletscher schreitet schneller voran, als wir uns das bislang vorgestellt haben. Der Klimawandel beschleunigt sich.
In diese Richtung geht auch die Aussage des jüngsten Berichtes, den der Weltklimarat IPCC unlängst vorlegte.
Der Report macht deutlich, dass wir dringend versuchen sollten, deutlich unter zwei Grad globaler Erwärmung zu bleiben, um nur schwer beherrschbare Folgen wie das Abschmelzen des Grön-landeisschildes sicher zu vermeiden. Die G 20-Länder, die für 80 Prozent der globalen Emissionen verantwortlich sind, müssen ihre Klimaschutzambitionen deutlich erhöhen. Das gilt auch für Europa und Deutschland.
Die Bundesregierung hat eingeräumt, die eigenen Klimaziele für 2020 zu verfehlen, die Braunkohleförderung läuft einstweilen weiter, und Mercedes stellte unlängst sein erstes E-Auto vor: einen SUV. Sind wir noch zu retten?
Wir befinden uns im Augenblick in einer Art Hängepartie. Einerseits haben wir viel erreicht in der Klimapolitik.
Ach ja?
Wir haben die Weltgemeinschaft mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass wir komplett aus der Emission von Treibhausgasen aussteigen müssen. Das ist eine Erfolgsstory, weil es gelungen ist, ein sehr abstraktes Problem zum Gegenstand nationaler und internationaler Politik zu machen.
Das allein wird nicht reichen.
Jetzt geht es langsam ans Eingemachte. Deutschland hat zum Beispiel eine sehr wichtige Rolle gespielt in der Energiewende. Jetzt müssen wir aus der fossilen Energie nach und nach heraus.
Noch einmal zurück zu Mercedes und Co. – glauben Sie wirklich, dass die deutschen Autobauer auf dem richtigen Weg sind?
Wir stehen vor einer kompletten Elektrifizierung der Mobilität. China macht es vor: 20 Prozent der E-Mobile, die weltweit unterwegs sind, fahren in sechs chinesischen Städten. Die deutschen Autobauer müssen sich überlegen, ob sie auf diesen Zug aufspringen oder ob sie den Anschluss verpassen. Deutschland war Weltmeister in der alten Technologie. Aus einem Projekt, was so erfolgreich war, auszusteigen, fällt schwer.
Welche Rolle werden die Städte im Kampf gegen den Klimawandel spielen?
Dazu müssen wir uns erst einmal klarmachen, dass sich die urbane Bevölkerung von heute an bis 2050 verdoppeln wird – 3,5 Milliarden Menschen werden zusätzlich in Städte ziehen. In den verbleibenden drei Jahrzehnten müssen wir dafür eine Infrastruktur aufbauen, die bei Weitem die Größenordnung dessen übersteigt, was wir in 250 Jahren industrieller Revolution im Bereich Städtebau vollbracht haben.
Was gilt es zu beachten?
Auf der einen Seite müssen wir Städte bauen, die im Wesentlichen klimaneutral sind und in denen die Ressourcen auf besonders sparsame und effiziente Weise genutzt werden. Bestehende Städte sind entsprechend umzubauen.
Auf der anderen Seite?
Müssen die Städte sich anpassen an die bereits jetzt schon einsetzenden Folgen des Klimawandels. Sind sie für Umweltrisiken und Katastrophen entsprechend gewappnet? Das ist eine ganz zentrale Frage und eines unserer Kernthemen hier am Institut für Umwelt und menschliche Sicherheit der Universität der Vereinten Nationen.
Die Tsunami-Katastrophe und das Erdbeben in Indonesien haben gezeigt, dass in vielen Teilen der Welt in diesem Bereich noch großer Nachholbedarf herrscht.
In den meisten Ländern ist Katastrophenpolitik wie in Indonesien kurzfristig orientiert und nicht langfristig ausgerichtet. In Chile dagegen haben wir in den vergangenen Jahren zwar auch eine Reihe von starken Erdbeben gehabt, aber in der Regel mit sehr wenigen Verletzen und Toten. Die Infrastrukturkosten waren ebenfalls niedriger, weil man entsprechend gebaut und sich vorbereitet hat.
Was steht bei der UN-Klimakonferenz in Kattowitz auf der Agenda?
Der Klimakompromiss von 2015 in Paris basierte auf den Vorschlägen der Regierungen, wie sie den Ausstoß von Treibhausgasen drosseln wollen. Jetzt wird es ernst mit der Umsetzung. Insofern ist das ein sehr wichtiger Gipfel. Dann ist da noch ein zweiter Punkt.
Welcher?
Wir sehen immer stärker, dass wir das Klimaproblem nicht loslösen können von den sozialen Problemen in den Ländern. Gerechtigkeit und Klimapolitik müssen stärker miteinander verbunden werden.
Geht es etwas konkreter?
Schauen Sie auf die Braunkohlereviere hier bei uns. Wir wissen einerseits: Wir müssen uns von der Kohle verabschieden. Aber nicht nur in der Lausitz fragen die Menschen: Was wird aus unseren Arbeitsplätzen? Zugleich müssen die Rechte derjenigen gestärkt werden, die besonders vom Klimawandel betroffen sind. Das zusammen zu sehen und Lösungen dafür zu finden, muss auch in Kattowitz diskutiert werden.
In Zeiten eines US-Präsidenten Donald Trump scheinen komplexe Politikansätze und der internationale Dialog auf dem Rückzug zu sein. Inwiefern wirkt sich das auf Ihre Arbeit als Wissenschaftler an einem Institut der UN-Universität aus?
Ich beobachte zwei gegenläufige Trends. Auf der einen Seite haben wir einen enormen Druck auf den Multilateralismus. Der geht nicht nur von Trump aus, sondern auch von dem türkischen Präsidenten Erdogan, von Teilen der Europäischen Union wie Ungarns Ministerpräsident Orban oder italienischen Verantwortungsträgern wie Matteo Salvini. Auf der anderen Seite ist die internationale Vernetzung zwischen Städten, Wissenschaftlern und Gesellschaft so dicht wie nie zuvor – eine Weltgesellschaft entsteht. Die UN-Universität kann dazu beitragen, besser zu verstehen, wie globale Kooperationskulturen für nachhaltige Entwicklung entstehen können.