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Ein Papstkandidat, der über Zwiebeln und Kartoffeln schreibt

Von Madeira über Angola nach Rom: Der portugiesische Kardinal und Papstkandidat Jose Tolentino de Mendonca hat eine außergewöhnliche Lebensgeschichte – und schreibt über Zwiebeln und Kartoffeln.

“Ist unsere innere Welt eine Zwiebel oder eine Kartoffel?”, fragt Jose Tolentino de Mendonca, einer von gut 130 Kandidaten auf das Papstamt. Das Gemüse steht laut Mendonca für zwei Lebenseinstellungen: Wessen Innenleben eine Zwiebel ist, der legt großen Wert auf Trends und fremde Meinungen. Die Kartoffel hingegen stehe für Menschen, die wissen, wer sie sind. Diese zeigten sich von äußeren Einflüssen unbeeindruckt.

Mendoncas Buch “Die Kunst, zur eigenen Mitte zu finden”, aus dem die Passage stammt, ist einer der vielen philosophischen Texte, die der portugiesische Kardinal in seiner Karriere als Schriftsteller veröffentlicht hat. Mit 25 Jahren gab er seinen ersten Gedichtband heraus und gewann damit in Italien und Portugal mehrere Literaturpreise. Papst Franziskus gewährte ihm als Kurienkardinal ausdrücklich Zeit, sich der Lyrik zu widmen.

Geboren am 15. Dezember 1965 als jüngstes von fünf Geschwistern in Funchal auf der Insel Madeira, wuchs Tolentino de Mendonca in der damaligen portugiesischen Kolonie Angola auf. Mit der Unabhängigkeit des afrikanischen Staates 1975 floh die Familie zusammen mit Hunderttausenden zurück nach Portugal.

Nach Priesterweihe 1990 und Studium in Rom promovierte er in Lissabon in biblischer Theologie. In seiner Laufbahn wirkte er unter anderem als Hochschulprofessor, spiritueller Begleiter der römischen Kurie und als Vize-Rektor der katholischen Universität Portugals. 2022 machte ihn Franziskus zu seinem Kulturbeauftragten, berief ihn als Leiter der vatikanischen Kultur- und Bildungsbehörde.

Den portugiesischen Kardinal als konservativ oder progressiv einzuordnen, sei grundsätzlich schwierig, sagt der Münsteraner Kirchenexperte Thomas Schüller. “Er ist im guten Sinne ein intellektueller Freigeist mit vielfältigen Interessen.” In dem oben genannten Text etwa zitiert Mendonca den Nihilisten Friedrich Nietzsche und die Sozialrevolutionärin Simone Weil. Dass Päpste und Kardinäle, wie auch Papst Johannes Paul II., Frauen und Männer aus völlig anderen kulturellen und intellektuellen Milieus zitieren, sei aber nichts Ungewöhnliches, so Schüller.

Wer “progressiv” aber als eine Denkart versteht, die darauf abzielt, Laien in kirchliche Entscheidungen einzubinden, kann Tolentino de Mendonca dieser Strömung zurechnen. Zur katholischen Weltsynode etwa, die Papst Franziskus ins Leben gerufen hat, äußerte er sich mehrfach positiv. “Die Frage der Synodalität wird die Zukunft der Kirche prägen”, sagte er 2024.

Um zu wachsen, müsse die Kirche zudem alle Getauften am innerkirchlichen Dialog beteiligen. Es gehe also darum, die Kirche nicht mehr als eine Pyramide zu sehen, sondern als einen lebendigen Organismus, so der Kardinal. Das spricht für einen kritischen Blick auf den Klerikalismus, den viele aktive Katholiken und aus der Kirche Ausgetretene anmahnen.

“Deutlich wird bei ihm, dass er die Suche nach der Wahrheit, nach dem, was trägt, als dynamischen und immer neu zu leistenden Prozess begreift”, ergänzt Thomas Schüller. Tolentino de Mendonca sehe kirchliche Regeln nicht als unverrückbare Wahrheiten an, sondern als historisch gewachsen.

Dass der Portugiese den Menschen ins Zentrum seines Wirkens stellen will, zeigt etwa sein Engagement bei der diesjährigen Architektur-Biennale in Venedig. Die Kirche Santa Maria Ausiliatrice im Stadtteil Castello soll auf Initiative Mendoncas hin zum offenen Ort der Begegnung zwischen Kunstschaffenden, Besuchern und der Stadtbevölkerung werden. Damit wolle man die wachsende Einsamkeit bekämpfen und die Themen Nachhaltigkeit und Umweltschutz betonen, wie sie Papst Franziskus in der Umweltenzyklika “Laudato si” (2015) formulierte.

“Die christliche Vision der Welt liegt gewiss mehr in Richtung Kartoffel; denn sie lehrt, dass es, selbst unter einer Schale oder unter einem Schleier verdeckt, eine reiche und lebendige Wirklichkeit gibt”, schreibt Tolentino de Mendonca. Ob der 59-Jährige künftig als Oberhaupt der Kirche über die Zukunft dieser Vision federführend mitbestimmt, muss sich in den kommenden Tagen zeigen.