Artikel teilen:

Einkauf im “Relimarkt”: Protestant bietet katholische Frömmigkeit feil

Ein Supermarkt voller Heiligenfiguren? In Heerlen bei Aachen wird Sammelleidenschaft zur Berufung – und ein stillgelegtes Kloster zum Treffpunkt für Sinnsucher und Sammler aus aller Welt.

Ein niederländischer Protestant bietet katholische Frömmigkeit zum Verkauf (Symbolbild)
Ein niederländischer Protestant bietet katholische Frömmigkeit zum Verkauf (Symbolbild)Imago / imagebroker

“Grüß Gott!” So müsste es eigentlich in großen Lettern über dem Eingang stehen. Wetten, dass Sie so einen Supermarkt noch nie gesehen haben? Bei Gert de Weerd in Heerlen bei Aachen können einem wirklich die Augen übergehen. Sie treten ein und sind umgeben von – ja, wovon …? Ist es “das Heilige”?

Gert de Weerds Supermarkt ist ein “Relimarkt”: ein religiöser Supermarkt. Auf 800 Quadratmetern bietet er seinen Kunden rund 6.000 Heiligenfiguren an, davon allein 500 mehr als einen Meter groß; zudem Monstranzen, Kreuze, Krippen, Kerzenständer in allen Formen und Größen; Weihrauchfässer, Wandkonsolen, Weihnachtsschmuck.

Gert de Weerd hat nicht sofort Zeit für die neu eingetretenen Kunden: Er telefoniert gerade mit Poperinge im Westen Belgiens, wo er in ein paar Tagen einen neuen Posten Heilige abholen will. Also kümmert sich Gerts Kompagnon Kay um die Kundschaft. Bald kommt auch Gert dazu – und man spürt rasch, dass sich hier zwei Seelen gefunden haben. Aber wie?

Sammelleidenschaft zum Beruf gemacht

Nun, Gert de Weerd hat schon vor Jahren seine Sammelleidenschaft zum Beruf gemacht – und dabei unter anderem ein Kloster zu neuem Leben erweckt. Dabei scheint der 65-Jährige denkbar ungeeignet, katholische Heiligenfiguren des 19. Jahrhunderts zu sammeln: ein reformierter Christ aus der Gegend von Amsterdam, von Haus aus Finanzbuchhalter und also eigentlich mehr dem Handfesten verpflichtet als dem verzückt himmelwärts Schauenden. Doch der Mann im schlichten T-Shirt sagt ganz einfach: “Ich mag den Frieden in ihrem Blick. Sie machen die Menschen leise.”

Doch von Anfang an: Auf einem Trödelmarkt fand Gert ein Jesuskind – und er empfand, dass er es dort nicht lassen konnte: “Das gehörte da nicht hin. Lieber wollte ich meiner Großmutter damit eine Freude machen.” 200 Gulden bezahlte er damals, heute umgerechnet etwa 90 Euro. Die Großmutter war indes keineswegs erfreut, im Gegenteil. Der Calvinismus ist die strengste Form des traditionellen Protestantismus. Und dann Heiligenstatuen! Doch auf Gert übten sie starke Anziehung aus. 1987 begann er zu sammeln, immer systematischer.

Die Heiligen aus bemaltem Gips sind Kreaturen des Wiederaufbaus nach den Verheerungen der Französischen Revolution. In zahllosen Kirchen Frankreichs, Belgiens, der Niederlande und des linken Rheinlands wütete der “Geist der Vernunft” unter den gotischen und barocken Heiligendarstellungen. Kircheneinrichtungen wurden zerschlagen oder verhökert, und nach 1800 präsentierten sich viele Gotteshäuser verwahrlost und leer. Zudem wurden einige Jahrzehnte später angesichts des starken Bevölkerungswachstums im Zuge der Industriellen Revolution zahlreiche neue Kirchen gebaut.

Von Romantik und Historismus: Ikonographie war eingängig

Der Zeitgeschmack von Romantik und Historismus und die unbedingte Rom- und Papsttreue nach der Verfolgungszeit beförderten im Zusammenspiel mit industrieller Serienproduktion den Typus verklärter Heiligenstatuen. Ihre Ikonographie war eingängig, trugen sie doch als Attribute die Folterwerkzeuge ihres Martyriums, den Himmelsschlüssel oder andere bildliche Zuschreibungen, die der gläubige Mensch in dieser Zeit noch selbstverständlich identifizieren konnte: als Sebastian, als Petrus, Veronica, Expeditus, als Pfarrer von Ars, Felicitas und Perpetua.

Ab etwa 1850 prägten die Gipsfiguren katholische Kirchenräume – für ein Jahrhundert, bis zu einer weiteren “Kulturrevolution”. Das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) brachte ein neues Verständnis von Kirche und Liturgie mit sich: Die Gemeinde als “Volk Gottes” auf dem Weg durch die Zeit feierte gemeinsam mit dem Priester. Der Gedanke der Messe als ein mystisches “heiliges Spiel”, das dem einfachen Kirchenvolk präsentiert wurde, trat zurück.

Dies sorgte einerseits für eine Hoch-Zeit kirchlicher Kunst in Architektur, Plastik, Malerei. Anderseits kam es zu einem erneuten Bildersturm: Ausdrucksformen des hergebrachten Katholizismus wurden nun als verzopft und altmodisch empfunden, viele Kirchenausstattungen entsorgt. Gerade im niederländischen und französischen Sprachraum konnte man schon seit den späten 60er Jahren in Kneipen, Diskotheken oder Partykellern Beichtstühle und Heiligenfiguren wiederfinden.

Kirchenkunst: Vom Hobby zur Profession

Und eines Tages kam da eben Gert de Weerd in Spiel. “Es wäre besser, die Katholiken würden sich selbst um dieses Erbe kümmern”, meint er achselzuckend. So aber muss ein nicht praktizierender Calvinist den Heiligenfiguren eine neue Heimat und neue Würde geben.

Aus dem Hobby wurde Profession – und am Ende gar sein Broterwerb. Gert wagte den Sprung, gab die Finanzbranche auf und kaufte 2007 die Anlage des Kamillianerklosters von Vaals, einem Grenzort bei Aachen in der traditionell katholischen niederländischen Provinz Limburg. Über 17 Monate wurden die Gebäude frisch gemacht: die Kapelle von 1908; das Haupthaus, einst Villa eines Nadelfabrikanten; das Museumscafé; den 1,7 Hektar großen Park mit Werken zeitgenössischer kirchlicher Kunst.

Das Prunkstück ist die Kapelle, Gerts Ausstellungsraum: 250 Figuren, bis zu 3,50 Meter hoch, zur Rechten und zur Linken im Kirchenschiff. Im Chorraum ein gekreuzigter Christus als Liegendfigur. De Weerd hat ein inniges, ja frommes Verhältnis zu seinen Figuren – dabei aber auch durchaus Humor. “Wie im Fußballstadion” habe er sie zu Beginn aufgestellt. Das Statische habe ihm dann nicht mehr gefallen. “Jetzt stehen sie zwar immer noch wie im Stadion, aber in der Halbzeitpause. Jeder macht sein Ding.” In der Tat ist viel Bewegung in der Gruppe. Sie scheinen zu gestikulieren, als unterhielten sie sich über die vergebenen Chancen ihrer Mannschaft.

“Relimarkt” bietet Heiligenfiguren für Hauskapellen

Museumsbesucher, die sich von Gerts Idee und Leidenschaft ansprechen lassen, können zum Schluss des Rundgangs im Kloster-Café “De Zwarte Madonna” bei Klosterbier oder Kaffee auch Gerts Erstlingsfund bewundern, das Jesuskind. Natürlich unverkäuflich. Auch Gerts Kompagnon Kay Schuffelers kam immer wieder her, wie er erzählt. Man kam ins Gespräch, kam sich näher – und irgendwann entstand die Idee des Supermarkts. Denn: Im Museum Vaals steht ja nur die Crème de la Crème der Sammlung. Oft müsse man, um die eine wunderbare Figur zu bekommen, auch ein Dutzend andere mitnehmen, berichtet Gert.

In diesem Supermarkt muss man sogar einen kleinen Eintritt zahlen – um zu verhindern, dass Leute in den Laden kommen, die kein echtes Interesse haben, sondern nur eine Kuriosität bestaunen wollen; das seien “nur 10 bis 20 Prozent”, berichtet Gerd. Viele religiöse Privatpersonen seien auf der Suche nach Ausstattung für Hauskapellen. Und auch calvinistische Geistliche kämen, die wieder Sinnliches suchten. “Darüber kommen wir am Ende wieder zusammen”, sagt Gert schmunzelnd.

Internationale Kundschaft im “Relimarkt”

Pfarrer, die zu den Öffnungszeiten am Wochenende ja oft Gottesdienste und also keine Zeit haben, bekommen im “Relimarkt” unter der Woche Termine nach Vereinbarung. Überhaupt ist die Kundschaft überraschend international aufgestellt; Westeuropa, Dänemark, die USA; sogar der chaldäische Erzbischof des Irak, wie Gert verrät. “Die beiden hier gehen bald nach Vietnam”, sagt er und zeigt auf zwei mannshohe Statuen.

Teilweise haben Gert und Kay persönliche Beziehungen mit Kunden aufgebaut; unter anderen zu einem inzwischen verstorbenen Krippensammler. Die Familie rief irgendwann an – und die beiden übernahmen dann 2.000 Krippenfiguren. Rund 1.000 davon sind im “Relimarkt” ausgestellt.

Im Übrigen sind Holzfiguren viel teurer als Gips. Zwei Restauratoren werden regelmäßig beauftragt; mehr Personal gibt es nicht. Beide Ehefrauen arbeiten mit, im Laden und im Café. Das ernährt “gerade so” zwei Familien. Aber, so scherzen Kay und Gert: “Wir haben uns gerade 25 Ave-Maria-T-Thirts und 10 Latzhosen gekauft. Viel mehr braucht man doch nicht…”

Eine Sorge freilich müssen sich die Besucher nicht machen: dass die Auswahl an Waren zu klein würde. Das würde Gert de Weerd nicht passieren. Schließlich ist er schon wieder an seinem Handy: neue Deals für den “Relimarkt”.