Selten konnte man am heimischen Computer so viele Pfarrerinnen und Pfarrer in Aktion beobachten, wie am vergangenen Wochenende. An zahlreichen Orten in Deutschland fanden bereits keine Gottesdienste mehr statt. Kirchen blieben leer, Orgeln still, Predigten ungehalten. Und plötzlich tauchten sie auf. Im Internet. Nicht nur Geistliche, auch Musikerinnen oder Jugendmitarbeiter.
Einfach Christen, die neue Wege suchen, um zu predigen, zu beten, zu musizieren und zu diskutieren. In Zeiten, in denen echte soziale Kontakte vermieden werden sollen, entdeckt auch Gottes Bodenpersonal mehr und mehr die Kraft der sozialen Netzwerke.
Das spirituelle Leben wird erweitert
Natürlich gab es auch vor Corona schon Videos, Podcasts und Predigten im Netz. Aber nun kommen immer neue und kreative Angebote dazu. Das Schlagwort #digitaleKirche war schon seit einiger Zeit in sozialen Medien in Gebrauch. Jetzt boomt es. Und es wird das spirituelle Leben in der Gesellschaft grundlegend verändern, vor allem erweitern.
Josephine Teske ist Pfarrerin im schleswig-holsteinischen Büdelsdorf. Die junge Theologin wirkt bereits seit 2018 auf Instagram unter dem Namen „Seligkeitsdinge“. Täglich postet sie über ihr Leben und ihren Glauben und erreicht damit bereits mehr als 17 000 Follower. Jetzt kam ihr die Idee, einen neuen Kanal zu gründen. Hier sollen Menschen mitmachen, Ideen einbringen, eigene Beiträge erstellen. Viele haben sich gemeldet und posten bereits Gebete und Lieder. Den ganzen Tag über und für die nächsten Wochen soll es hier immer neue Anregungen geben. „Herz.Netz.Werk“ heißt der Instagram-Kanal und bietet die schlichte Erklärung: „Ein Projekt-Account, gestaltet von allen, die Lust haben vom Glauben zu erzählen und zu teilen“. Wer hier hin surft, wird unter anderem erleben, was ein Popcorn-Gebet ist. Nach wenigen Tagen hat „Herz.Netz.Werk“ bereits rund 4000 Abonnenten.
Schon immer gab es Alternativen zum Gottesdienst in der Kirche nebenan. Im Radio und TV und natürlich auch im Internet. Man konnte Predigten nachlesen, Gebete entdecken und Videobotschaften ansehen. Noch nie aber haben so viele Christenmenschen im Netz ihr Gesicht gezeigt oder ihre Stimme erklingen lassen, wie in der vergangenen Woche. Noch nie waren so viele Glaubenszeugnisse, mutmachende Worte und aufbauende Posts hier zu finden.
Darunter auch ganz schlichte Ideen: Die Kirchengemeinde Uellendahl-Ostersbaum in Wuppertal bietet etwa einen „Gottesdienst am Küchentisch“ an. Nach Ideen von Elisabeth Rabe-Winnen hat Pfarrer Holger Pyka Texte geschrieben, damit Menschen daheim ihren Glauben feiern können. Zu einem festen Zeitpunkt wird geraten, „zum Beispiel am Sonntagmorgen um zehn oder um elf“. Viel brauche man nicht dazu, so der Autor: „Mindestens eine Person. Eine Kerze. Eine Bibel.“ Das PDF dazu gibt es unter www.ev-uo.de zum Download.
Ein sinnliches Angebot kam vergangenen Sonntag von der Jugendkirche Hamm. Hier konnten Internet-Nutzer Gebete senden, und für jedes Anliegen haben die Jugendlichen eine Kerze aufgestellt. Das Bild dieser vielen Flammen wurde dann wiederum Punkt 17 Uhr im Netz veröffentlicht. „Für dich, für alle, die einfach verunsichert sind. Oder im Krankenhaus. Oder nicht wissen, wie sie ihre Kinder unterbringen sollen oder ihr Geld verdienen werden“, so der Aufruf auf Facebook und Instagram. Auch Schülerinnen und Schüler, Enkel und Großenkel sowie „alle in der Politik, in der Forschung, im Gesundheitswesen“ wurden bedacht.
Multimedialer ging es in Lippe zu, in der kleinen Fachwerk-Kapelle in Belle. Wie an vielen anderen Orten, waren die Gottesdienste hier schon abgesagt. Wolfgang Loest, Medienpfarrer in der Lippischen Landeskirche, hat daraufhin einen Livestream organisiert und die Feier – mit kleinem Team in leerer Kirche – ins Internet übertragen. Ganz unkompliziert, einfach, aber gut. Im Netz war alles live zu sehen, immer noch kann man sich das Video bei YouTube angucken. Weil alles so gut funktioniert hat, will Loest nun in den nächsten Wochen jeden Sonntag einen Gottesdienst filmen und online stellen. Alle Infos dazu unter: www.kirche.plus.
Das Abendgebet in Taizé live auf Facebook
Zahllose engagierte Christen probieren Ähnliches in ganz Deutschland und weltweit. Selbst die Gemeinschaft im französischen Taizé sendet derzeit täglich das Abendgebet live auf Facebook. Bis in deutsche Zeitungen hat es derweil Pfarrer Don Guiseppe Corbari aus Italien geschafft. Damit er sich in seiner Kirche nicht so allein fühlen muss, schickten ihm Gemeindeglieder Selfies zu. Diese hat er ausgedruckt und in die Kirchenbänke gestellt. So ist ihm die Gemeinde nun doch vor Augen. Not macht erfinderisch.