Das Foto ist Programm: Wie ein Fußballteam posieren die zwei argentinischen Ministerinnen und sieben Minister mit Präsident Javier Milei. Im Vordergrund des Bildes eine vergoldete Kettensäge mit der Gravur „Die Kräfte des Himmels“. In der Mitte blickt der argentinische Präsident selbst in die Kamera. Kurz vor dem ersten Jubiläum seiner Amtszeit postet er das Foto auf der Plattform X mit dem Kommentar: „Die beste Regierung der Geschichte“.
Ein Jahr nach seinem Amtsantritt wirkt der Anarchokapitalist Milei ungebrochen selbstbewusst. Wider viele Erwartungen hat seine Regierung, trotz fehlender parlamentarischer Mehrheiten und begrenzter Erfahrung, weite Teile ihres radikalen Reformprogramms umgesetzt. Ihre Botschaft lautet: Weiter so!
Mit einer Mischung aus radikalen Marktreformen und rechten Verschwörungstheorien hat Milei seine Politik verfolgt. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit stoppte er sämtliche öffentlichen Bauprojekte und verordnete dem Staatshaushalt eine „schwarze Null“ – per sofort. Um dieses Ziel zu erreichen, reduzierte seine Regierung die Anzahl der öffentlichen Angestellten um etwa ein Zehntel und fror die Löhne sowie die Budgets der Ministerien größtenteils ein. Bei gleichzeitiger Inflation von über 200 Prozent jährlich.
Um seine Vision der „Freiheit“ zu verwirklichen, gründete Milei ein eigenes Ministerium für Deregulierung. Dessen Leiter, Federico Sturzenegger, ein Vordenker der Regierungspolitik, setzte zahlreiche Vorschriften, Bürokratiemaßnahmen und Steuern außer Kraft. Eine Idee, die internationale Nachahmer findet: Noch während seines Wahlkampfs kündigte Donald Trump in Washington an, ein ähnliches Ministerium unter der Leitung von Elon Musk schaffen zu wollen.
Milei regiert vorwiegend per Dekret und durch Sondervollmachten, die ihm das Parlament zu Beginn seiner Amtszeit gewährte. Wenn nötig legt er sein Veto gegen Gesetzesprojekte ein, die die Opposition gegen seinen Willen im Parlament verabschiedet hat. Doch nicht alle seine Pläne ließen sich umsetzen. Sein antichinesischer Diskurs endete abrupt, als klar wurde, wie abhängig Argentinien von chinesischen Märkten und Krediten ist. Auch bei angekündigten Privatisierungen kam es bislang kaum zu Durchbrüchen.
Wirtschaftlich zeigen Mileis Maßnahmen erste Ergebnisse. Die monatliche Inflationsrate fiel von über 25 Prozent im Dezember 2023 auf 2,7 Prozent im Oktober 2024. Nach einem massiven Einbruch des Wirtschaftswachstums deutet sich eine Stabilisierung an. Doch der Preis ist hoch.
Die argentinische Gesellschaft leidet unter Mileis Sparkurs. Der Anteil der Armen stieg um mehr als zehn Prozentpunkte auf 52,9 Prozent. Öffentliche Krankenhäuser, Universitäten und Dienstleistungen kämpfen mit drastischen Einsparungen. Einige Krebsmedikamente und selbst Schmerzmittel werden nicht mehr finanziert.
Ideologisch hat Milei eine stramm rechte Agenda. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit schloss er das Ministerium für Frauen und Gendergerechtigkeit. Zwei Monate später verbot seine Regierung allen öffentlichen Angestellten, im Dienst gendergerechte Sprache zu verwenden. Personal im Bereich Frauengesundheit beklagt, dass es an grundlegender Ausstattung fehlt, um das gesetzlich verankerte Recht auf Abtreibung umzusetzen.
Milei selbst spricht von einem „Feldzug gegen linke Kräfte“ und einem „Kulturkampf“ um gesellschaftliche Werte. Diesen Angriff vermag die Opposition kaum zu erwidern, sie wirkt zersplittert. Die ehemaligen Regierungsparteien sind uneins, die größte Gewerkschaft des Landes, die CGT, droht zu zerbrechen. Massive Proteste gegen Mileis Regierung sind weitgehend verebbt – die gesellschaftliche Linke scheint wie gelähmt.
Trotz der Not in der Bevölkerung, die durch die Politik teilweise ausgelöst wurde, unterstützt in Umfragen eine Mehrheit der Argentinierinnen und Argentinier den Kurs der Regierung mit der Hoffnung auf einen wirtschaftlichen Aufschwung. Sollte dieser im zweiten Jahr von Mileis Amtszeit ausbleiben, könnte sich das Blatt wenden.