Doku über die Katzenkolonie um den Shinto-Schrein Gokogu in Ushimado und die Menschen, die dort leben.
Der auf einer Anhöhe gelegene Shinto-Schrein Gokogu in Ushimado ist nur über eine steile Steintreppe zu erreichen. Von oben öffnet sich ein weiter Blick über das Seto-Binnenmeer und die umliegenden kleinen Inseln. Seit einiger Zeit haben die Gottheiten der heiligen Stätte allerdings Konkurrenz bekommen. Eine Gemeinschaft wilder Katzen hat sich auf der Anlage breit gemacht und lockt zahlreiche Besucherinnen und Besucher an.
Katzen liegen auf den Stufen herum, dösen im Schatten der Bäume oder machen es sich in den Ecken und Nischen der hölzernen Schrein-Architektur bequem. Aber auch unten bei den Anglern und insbesondere zwischen ihren Beinen scheint es ihnen zu behagen. Meist fällt vom Fang auch der eine oder andere kleine Fisch für sie ab.
Die Katzen seien die Hauptfiguren des Films, erklärt der japanische Dokumentarist Kazuhiro Soda einem neugierig vor seine Kamera tretenden Mann, der zum Unkrautjäten gekommen ist. Doch auch wenn Sodas Aufmerksamkeit den Tieren gilt, ist “Die Katzen vom Gokogu-Schrein” vorwiegend ein Film über die Koexistenz von Menschen und Menschen und Menschen und Katzen.
Ortsansässige kommen zum Füttern vorbei, andere pilgern von weit her. So wie die junge Frau, die alle zwei, drei Wochen ihre Lieblingskatze aufsucht, um sich von den Strapazen des Arbeitslebens “heilen” zu lassen. Die flauschigen Schrein-Bewohner, die nahezu jeder beim Namen zu kennen scheint, sind aber auch ein begehrtes fotografisches Sujet.
Doch nicht alle Menschen in Ushimado erfreuen sich an der Kolonie. So ist der Kot, der auf dem Gelände wie in den umliegenden Gärten hinterlassen wird, für viele ein ständiges Ärgernis. Wobei sie stets bemüht sind, ihre Ablehnung möglichst diskret zum Ausdruck zu bringen. Um die Vermehrung einzudämmen, geht eine Freiwilligen-Gruppe mit Sterilisierungsmaßnahmen einer “geordneteren” Form der Katzenpflege nach. Doch trotzdem scheint die Population nicht erkennbar zu schrumpfen. Und da sich die gute Versorgungslage in den sozialen Medien herumgesprochen hat, fühlen sich manche Menschen auch eingeladen, junge Katzen am Gokogu-Schrein auszusetzen.
“Observational filmmaking” nennt Kazuhiro Soda seine Methode, zu der auch ein eigens ausformuliertes Regelwerk existiert: keine Recherchen, bediene die Kamera selbst, verwende lange Einstellungen, finanziere die Produktion selbst. Diese “10 Gebote” lassen sich in Sodas schönen Buch “Why I Make Documentaries” nachlesen.
In “Die Katzen vom Gokogu-Schrein”, dem mittlerweile zehnten Teil der Serie, ist der Begriff des “observational film” fast ein wenig irreführend. Schon in der ersten Szene bringt einer der Protagonisten die Vorgabe der bloßen Beobachtung zum Kippen. Eine rötliche Katze haut mit ihren Pfoten immer wieder auf Sodas Mikrofon und schleckt und knabbert am Schaumstoff-Überzug. Diese Katze schleicht sich auch einmal in die Wohnung des Filmemachers, der sie mit Hilfe seines Kamerastativs wieder hinausschiebt. Als das Tier während eines Taifuns maunzend vor seiner Tür steht, gewährt er ihr vorübergehend Obdach.
Dialog wird zum prägenden Element. Soda unterhält sich mit den Menschen, denen er am Schrein über den Weg läuft. Er fragt nach ihren Berufen, sie bewundern seine professionelle Ausrüstung. Manche bringen sich auch mit Vorschlägen ein. “Konzentriere dich”, ruft ihm ein Angler zu, als er seinen Fang an Land zieht.
Die Methode von Sodas großem Vorbild Frederic Wiseman kommt zum Tragen, wenn er ausführlich eine Sitzung im Stadtrat dokumentiert; zur Debatte steht nicht nur die Ausrichtung der Schrein-Zeremonie, sondern auch das im Zuge des Katzenhypes entstandene Müllproblem. Die Bürger sind bei allen Differenzen aber immer bemüht, zu kooperieren. Sie müssen das auch. Die Überalterung der japanischen Gesellschaft ist insbesondere in entlegenen Gegenden wie Ushimado ein drängendes Problem, Menschen wie Katzen bedürfen der Fürsorge. Allein durch unermüdliche Freiwilligenarbeit wird das gesellschaftliche Leben am Laufen gehalten.
Soda und seine Produzentin Kiyoko Kashiwagi leben zeitweise selbst in Ushimado, wo auch schon andere Filme wie etwa “Inland Sea” (2017) entstanden sind. Sie kreisen alle um Fragen des Zusammenlebens, der Kooperation und des Kümmerns, um Krankheit und Tod und die zyklische Ordnung. Gegen Ende von “Die Katzen vom Gokogu-Schrein” wird eine Katze begraben, und wie zu Beginn des Films stehen die Kirschbäume in voller Blüte. Neues Leben gibt es auch bei den Katzen.