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Digitale Ausgrenzung beginnt oft mit der Internetadresse

Wer kein Englisch kann oder ein anderes Alphabet nutzt, bleibt oft außen vor: Dann wird das Internet zur Hürde, die Technik zur Sprachbarriere. Doch es gibt Pläne, das zu ändern.

Am Internet führt im Alltag kaum ein Weg vorbei – vom Nachrichtenlesen bis zum Arztbesuch. Es spart Zeit, macht vieles einfacher und bequemer. Doch gut 2,6 Milliarden Menschen weltweit haben diese Möglichkeiten den Vereinten Nationen zufolge nicht, oft wegen fehlender Infrastruktur oder Geräte. Aber auch Sprache wird mitunter zur Barriere: Wer kein Englisch kann, stößt schon bei der Eingabe der Internetadresse an Grenzen.

Zudem sind viele Sprachen, insbesondere solche mit nicht-lateinischen Alphabeten, im Netz unterrepräsentiert, etwa das Griechische oder das Arabische. Es betrifft aber auch Chinesisch, die weltweit am häufigsten gesprochene Muttersprache. Knapp eine Milliarde Menschen sind mit Chinesisch als Erstsprache aufgewachsen. Das Englische liegt mit 390 Millionen Muttersprachlern weit darunter – und landet sogar hinter dem Spanischen mit 484 Millionen Muttersprachlern.

Dennoch dominiert die englische Sprache das Internet – und seine technischen Standards, die im Hintergrund arbeiten, damit das Netz funktioniert. Das führt zu Ungleichheit.

Um diese Barrieren abzubauen, haben sich die Organisation ICANN und die Unesco zusammengetan. ICANN steht für Internet Corporation for Assigned Names and Numbers. Die Organisation koordiniert seit 1998 die Vergabe von Namen und Adressen im Internet über das sogenannte Domain Name System (DNS). Dieses System funktioniert ähnlich wie eine Telefonauskunft: Gibt ein Internetnutzer zum Beispiel eine Webadresse in seinen Browser ein, um eine Webseite aufzurufen, ordnet das DNS der Anfrage das entsprechende Angebot zu, sodass die richtige Website geöffnet wird. Die ICANN entwickelt technische Standards, damit das Netz reibungslos funktioniert.

Das Domain Name System kann bisher aber nur Ziffern, lateinische Buchstaben und einige wenige Sonder- und Satzzeichen verarbeiten. Sprachen, die ein anderes Alphabet verwenden oder auf anderen Schriftsystemen basieren, sind in Web- oder E-Mailadressen schlicht nicht abgebildet.

ICANN und Unesco wollen genau das ändern. Ihr Ziel: die sichere Verwendung zusätzlicher Schriften und Sprachen im Domain Name System (DNS) des Internets. Wie das funktionieren kann, lässt sich an der deutschen Sprache zeigen: Die zweithäufigste Sprache im Web lässt sich mit den verfügbaren Zeichen und dem lateinischen Alphabet verhältnismäßig gut darstellen. Für die deutschen Umlaute ä, ö und ü gibt es seit 20 Jahren eine technische Lösung: Genau daran will die ICANN jetzt auch für andere Schriftsysteme anknüpfen.

Mithilfe sogenannter internationalisierter Domain-Namen (IDN) soll das Netz inklusiver für verschiedene Sprachgemeinschaften und Kulturen werden. Ein IDN ist eine Webadresse im Internet, die in nicht-lateinischer Schrift oder in einer auf dem lateinischen Alphabet beruhenden Schrift mit Sonderzeichen besteht, wie zum Beispiel den deutschen Umlauten. Dafür werden die nicht-lateinischen Buchstanden in das bestehende technische System übersetzt. Das passiert automatisch und im Hintergrund, so dass Nutzerinnen und Nutzer eine Webadresse in ihrer Landessprache in den Browser eingeben können – und das Internet die Anfrage dennoch verarbeiten kann.

“IDNs ermöglichen es Internetnutzern, den Domain-Namen und die E-Mail-Adresse in der Sprache und Schrift zu wählen, die ihren Bedürfnissen und ihrer Kultur am besten entspricht”, sagt Sarmad Hussain, der bei ICANN an der Initiative beteiligt ist. Er war vormals Professor für Computerwissenschaft und forscht zu lokaler Sprachtechnologie.

Die Unsichtbarkeit im Netz betrifft vor allem viele kleinere Sprachgemeinschaften des Globalen Südens, zum Beispiel in afrikanischen oder lateinamerikanischen Ländern. Eine Studie hat schon 2013 nachgewiesen, dass das Aussterben von Sprachen auch damit zusammenhängt, dass sie online nicht existieren. Nach dem englischsprachigen Motto: “If it does not exist online, it does not exist.” Rund 3.000 Sprachen sind laut dem Endangered Languages Project derzeit vom Aussterben bedroht.

Sprachen als kulturelles Erbe zu schützen, indem man sie online sichtbar macht, ist laut Audrey Azoulay aber nur eine Facette des Vorhabens. Die Generaldirektorin der Unesco möchte Menschen die Möglichkeit geben, ihre kulturelle Identität über ihre Sprache auch online auszudrücken. Nur etwa 400 von weltweit über 7.000 Sprachen seien im Internet vollständig zugänglich. Die Sprachenvielfalt hier zu verbessern, sei ein wichtiger Schritt dahin, dass mehr Menschen das Internet nutzen können, sagt sie.

Internationalisierte Domain-Namen könnten hier mehr globale Reichweite von Online-Inhalten schaffen, ist ICANN-Experte Hussain überzeugt. Außerdem könnten sich Menschen, die Sprachen sprechen, die nicht die Schriftzeichen A bis Z nutzen, die jeweilige IDN leichter merken und anderen mitteilen. Auf diese Weise werden Websites bei der jeweiligen Zielgruppe bekannter.

Um das technische System hinter IDN weiter zu etablieren, brauche es viele Fürsprecher. Die Unesco und ICANN arbeiten an einer Initiative zu mehr Akzeptanz. Hierbei gehe es laut Hussain darum, möglichst viele Akteure dazu zu bewegen, ihre Softwareanwendungen und IT-Systeme anzupassen, so dass alle Domain-Namen und E-Mail-Adressen, unabhängig von der Sprache, Schrift und Zeichenlänge, reibungslos funktionieren.

Das könne bedeuten, dass die Anwender Software erneuern müssen. “Eine Anpassung kann kostenintensiv und besonders komplex sein, weil das System am Ende im Ganzen funktionieren muss”, erklärt Hussain. Bei Social-Media-Plattformen benötigt man beispielsweise eine E-Mail-Adresse, um sich einen Account einzurichten. Viele Plattformen blockieren IDNs – und damit Millionen Menschen den Zugang zum digitalen Leben.