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Diese Frau will einmal rund um die Welt wandern

Gehen. Einmal rund um die Welt. Seit einem Jahr ist Katharina Kneip zu Fuß auf ihrer „Round:Motion“-Tour, einem Kunstprojekt. Dabei beschäftigt sie sich mit Fragen nach Glauben und Menschsein.

Katharina Kneip hat die Welt in einem Jahr zu Fuß umrundet
Katharina Kneip hat die Welt in einem Jahr zu Fuß umrundetKatharina Kneip

Den ersten Schritt machte Katharina Kneip am 29. Januar 2023: Auf dem Domplatz in Münster verabschiedete sie sich von Familie und Freunden und zog mit einem 25 Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken auf einen Weg, der sie einmal rund um den Globus führen soll. Sieben Monate später hatte sie es durch Dänemark, Schweden und Norwegen bis nach Kirkenes weit nördlich des Polarkreises geschafft, wo sie während der Polarnacht ein Quartier gefunden hat. Und auch wenn sich das anhört wie eine etwas überdimensionierte Wandertour: Für die 33-Jährige ist es mehr. Es ist Kunst. Wie das?

Katharina Kneip ist gelernte Steinbildhauerin und hat Freie Kunst studiert. Aber nach einigen Jahren künstlerischer Tätigkeit war ihr das nicht mehr genug. „Ich wusste immer schon, wie das Werk, das ich schaffe, am Ende aussieht“, erklärt sie. „Mir hat in diesem Prozess etwas gefehlt, das neu und überraschend ist.“ Außerdem suchte sie nach mehr Austausch mit denen, die ihre Kunst anschauen. So verwendete sie für ihre Werke zunächst immer weniger Material – und ließ es dann ganz weg, um das Unterwegssein als Kunstform zu erproben.

Wo hört Natur auf, wo fängt Kultur an?

Nach einigen längeren Wanderungen tauchte die Idee einer Tour rund um die Welt auf, um eine andere Zeitdimension und Gebiete außerhalb des Vertrauten zu entdecken. Aber es geht auch um neue Perspektiven: „Wir denken die Welt sehr dualistisch, aufgeteilt in den Gegensatz von Natur und Kultur. Diesen Blick wollte ich in Frage stellen“, sagt Katharina Kneip.

Kunst ist für die Künstlerin nicht ein fertiges Werk, sondern eine Idee und ein offener Prozess. In diesem Fall: Gehen, ein Schritt nach dem nächsten, langsam oder schnell, und dabei wahrnehmen und mit dem umgehen, was kommt – Weg, Wetter, Umgebung, andere Menschen. „Kunst ist die offenste Möglichkeit, alles zu erlauben und zu integrieren“, erklärt sie. Etappen oder Ziele für den Tag gibt es nur grob; einen Kilometerzähler hat sie nicht dabei. Nichts soll das freie Interagieren mit dem Weg einschränken.

Nur durch eine dünne Schicht vom Draußen getrennt: Zelten im Fjell
Nur durch eine dünne Schicht vom Draußen getrennt: Zelten im FjellKatharina Kneip

Das intensive Erleben der Natur, in der Katharina Kneip unterwegs ist, führt etwa zu der Frage, wo eigentlich die Grenze zwischen Natur und Kultur, zwischen dem Menschen und seiner Umwelt verläuft. Darum hält sie sich auch nicht unbedingt an vorgegebene Wege, sondern sucht sich ihren eigenen, zum Beispiel in der norwegischen Hochebene, dem Fjell. „Das ist ein anderes Denken“, erklärt sie. „Ich kann zwar nicht einfach laufen, wo ich will, weil die Natur mir Grenzen setzt. Aber den Weg, den ich mir dann suche, hat niemand vor mir so gedacht. Und niemand sagt mir, wo es für mich am besten langgeht. Das gibt mir viel Freiheit.“

Wandern ohne Wege führt zu Überraschungen

Allerdings führt diese Herangehensweise auch zu manchen Überraschungen. Einmal musste Katharina Kneip für fünf Meter Luftlinie einen Umweg von 20 Kilometern machen, um einen Fluss überqueren zu können. Ein andermal war sie gezwungen, so schnell wie möglich aus der Hochebene ins Tal abzusteigen, weil schwere Gewitter drohten. Gehen ist immer gleich und doch so unterschiedlich, je nach Wetter, Beschaffenheit des Untergrunds und der eigenen inneren Stimmung – diese Erfahrung reflektiert die Künstlerin häufiger in ihren Social-Media-Beiträgen, die sie von unterwegs postet.

Auf menschengemachte Wege ist Katharina Kneip auch in der scheinbar unberührten Wildnis des schwedischen und norwegischen Fjells gestoßen – die gar nicht so unberührt ist, wie die Künstlerin betont: Staudämme, Handynetz und Wandertourismus hinterlassen auch hier ihre Spuren. Wege führen zu Menschen – und letztlich sind es vor allem die Menschen, die Katharina Kneip immer wieder überraschen. „Wenn ich an eine Tür geklopft habe, waren die Leute fantastisch. Fast immer haben sie mich ins Haus gebeten, zum Essen eingeladen oder mich übernachten lassen“, erzählt sie. „So habe ich viele Geschichten und Meinungen zu meinem Projekt sammeln können, das finde ich toll.“

Die Welt rundum erlaufen, Schritt für Schritt – das ist das Projekt der Künstlerin Katharina Kneip
Die Welt rundum erlaufen, Schritt für Schritt – das ist das Projekt der Künstlerin Katharina KneipKatharina Kneip

Auch von Kirchen fühlt die Künstlerin sich angezogen. „Mein Vater war katholischer Kirchenmusiker. Es ist daher ganz normal für mich, in eine Kirche zu gehen“, erklärt sie. „Außerdem riechen Kirchen alle gleich, da entsteht gleich so ein Zuhause-Gefühl bei mir.“ So kam es auch zu der Begegnung in Halmstad an der schwedischen Westküste: Nach einem Tag im strömenden Regen hatte sie auf einen trockenen Unterschlupf gehofft, aber Kirche und Gemeindehaus waren verschlossen. „Ich wollte gerade wieder gehen, da kamen mir ein paar Leute entgegen, die schon so nach Kirche aussahen“, erzählt Katharina Kneip – Mitglieder des Kirchenchores, wie sich herausstellte. Sie durfte bleiben und sich aufwärmen. Schließlich lud sie der Kirchenmusiker zum Übernachten ein.

 

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Ähnliches erlebte sie beim Besuch eines buddhistischen Klosters, auf das sie in Südnorwegen stieß. Auch hier wurde sie eingeladen, zu bleiben; auch hier, wie häufig während ihrer Tour, kam das Gespräch ganz schnell auf Glaubensfragen. Meditatives Gehen gehört zu den religiösen Übungen der Mönche – wieder eine neue Erfahrung ihrer Reise.

Trondheim mit seiner berühmten gotischen Kathedrale war ein weiterer Punkt auf der Tour. Die Arbeit der Dombauhütte, die für den Erhalt des architektonischen Kunstwerks zuständig ist, fasziniert Katharina Kneip – eine Arbeit, die seit Jahrhunderten von Handwerker zu Handwerker weitergegeben wird, ohne je zu einem Abschluss zu kommen. Zudem erschließt sich ein neuer Zugang zur Natur: „Nachdem ich so viel durch Wälder gewandert bin, verstehe ich die Architektur auf eine andere Art als zuvor: die Beziehung zu Bäumen, Natur und Zeit“, schreibt sie dazu auf Facebook.

Das Erlebte soll zu Kunstwerken werden

In ihrem Winterquartier im tief verschneiten Kirkenes lässt sie nachklingen, was sie während der sieben Monate auf eigenen Füßen erlebt hat. „Wer bin ich, wo fängt mein Ich an und wo hört es auf, was bleibt, wenn man ohne die Einflüsse der Gesellschaft ist – über diese ganz grundlegenden Lebensfragen denke ich viel nach“, erzählt sie. Durch ihre Kindheit, die vom Beruf ihres Vaters geprägt war, sei ihr der christliche Glaube und das kirchliche Umfeld heimatlich vertraut. Von den Strukturen der katholischen Kirche distanziert sie sich inzwischen. „Aber die Frage, ob es einen Gott gibt, bleibt mir.“

Neben einigen Jobs, mit denen sie ihre weitere Tour finanzieren will, beschäftigt sie sich im Moment damit, wie sie künstlerisch darstellen kann, was sie erlebt. Material zum Zeichnen oder Malen hat sie kaum. Also arbeitet sie mit dem, was sie auf dem Weg findet, filmt, fotografiert, zeichnet, schreibt, vernetzt sich mit lokalen Künstlerinnen und stellt vor Ort aus. Vielleicht wird ein Buch daraus, wenn die Tour beendet ist.

Übers Nordpolarmeer nach Spitzbergen

Aber zuerst sind die nächsten Schritte dran: Die Fortsetzung der Tour auf Skiern durch den arktischen Winter erfordert einige Vorbereitungen. Ein festeres Zelt war nötig, wärmere Kleidung und Schlafsack und eine Pulka, eine Art Lastschlitten, den sie hinter sich herziehen will.

Ab Anfang März steht dann die rund 800 Kilometer lange Etappe bis nach Tromsø an der Nordwestküste Norwegens an. Von dort geht es Wind und Strömung folgend weiter: Auf einem Segelboot will Katharina Kneip über das Nordpolarmeer zunächst nach Spitzbergen und später weiter nach Island, wo sie wieder einige Zeit verbringen wird. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Schritt für Schritt.

Internet: www.round-motion.com, bei Facebook und Instagram unter dem Suchwort Round:Motion.