Sich frisch machen und warm duschen, ist für David eine Wohltat. „Die Hauptsache ist, gut zu riechen“, sagt der 23-Jährige. Nach dem Duschen richtet er seine schwarzen Haare vor einem Spiegel im weiß gekachelten Bad mit Haarwachs strubbelig nach oben. Er ist Gast des Hygienecenters am Berliner Bahnhof Zoologischer Garten. Dort können sich Obdachlose kostenfrei duschen und auf die Toilette gehen.
Schätzungsweise 6000 Obdachlose leben in Berlin
David fällt mit seiner orange-weiß-schwarzen Tarnhose unter den eher gedeckt gekleideten Obdachlosen vor dem Hygienecenter auf. Er lebt mit einer Gruppe vor der Einrichtung auf der Straße, übernachtet dort und kommt fast täglich zum Duschen.
Drogen-Probleme und mehrere Therapien hat er bereits hinter sich. Die Einrichtung, wo er den letzten Entzug machte, liegt in Nauen in Brandenburg. „Dort gibt es ja nichts und man hat keine Chance. Deswegen kam ich nach Berlin und wohne jetzt auf der Straße.“
Damit ist er einer von schätzungsweise 6000 Obdachlosen in Berlin. Das Leben von Obdachlosen wieder lebenswert machen und Vorurteile bekämpfen, ist das Ziel der Mitarbeiter des Hygienecenters. Der Sozialarbeiter Wilhelm Nadolny von der Berliner Bahnhofsmission sagt: „Es geht um nicht viel weniger als den ersten Artikel des Grundgesetzes. Die Würde des Menschen bedeutet auch, duschen zu können.“
Die Berliner Stadtmission der evangelischen Kirche und die Bahnhofsmission betreiben die Einrichtung gemeinsam. Sie ist täglich von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Rund 90 Menschen duschen täglich im Hygienecenter. An manchen Tagen gibt es zusätzlich die Möglichkeit, sich die Haare schneiden zu lassen. Auch medizinische Fußpflege gehört zum Angebot.
Übrigens gibt es eine ähnliche Einrichtung auch in Hagen. „Luthers Waschsalon“ bietet an zwei Tagen (montags und donnerstags von 8.30 bis 11.30 Uhr) in der Woche einen Treffpunkt für Wohnungslose und Menschen mit geringem Einkommen. Auch hier besteht die Möglichkeit, sich zu waschen und zu pflegen. Auch Beratung und Gespräche sind möglich. Ebenso werden allgemeinmedizinische und zahnärzliche Sprechstunden angeboten.
Ähnliche Einrichtungen wie in Berlin gibt es in Europa in Paris und im Vatikan. Das Berliner Hygienecenter ist sehr sauber und relativ ruhig. Die beiden weiß gefliesten Waschräume mit dunkelgrauem Boden für Männer und Frauen bestehen aus mehreren Kabinen, in denen die Duschen sind. Zudem gibt es ein behindertengerechtes Bad.
Direkt am Eingang befindet sich der Empfang. Dort stehen ordentlich aufgereiht etliche Hygieneprodukte. Frische Kleider liegen in Boxen in einem Regal. Die Räume wirken durch die vielen Regale ziemlich vollgestopft, aber die drei hauptamtlichen Mitarbeiter achten auf Ord-nung. Eine Frau will im Flur rauchen, aber Mitarbeiterin Sünje Hansen schickt sie nett nach draußen.
Gäste wie David bekommen vor der Dusche ein Päckchen mit Rasierer, frischer Unterwäsche, Socken, einem T-Shirt und einer Zahnbürste. Auch Handtücher werden kostenfrei zur Verfügung gestellt. Jeder Besucher hat rund 20 Minuten Zeit, sich zu säubern.
Nach der Dusche können sich die Gäste am Eingang mit Deo einsprühen, das Gesicht eincremen oder nach der Rasur die Haut mit After Shave pflegen. Außerdem gibt es verschiedene Parfüms – für jeden Geschmack ist etwas dabei, und auch David hat „seinen“ Duft gefunden. Nach jedem Duschgang wird die Zelle professionell von einer Putzfirma gereinigt.
Hygienecenter wurde von der Deutschen Bahn gebaut
So war es in der Bahnhofsmission am Zoo nicht immer. Hunderte Leute kamen früher täglich, um sich etwas zu essen und zu trinken zu holen. Anschließend verrichteten sie ihre Notdurft auf der Straße. „Wenn ich in die Straße der Bahnhofsmission lief, trieb es mir Tränen in die Augen“, erinnert sich Nadolny. Im Dezember 2015 eröffnete dann das Hygienecenter; bezahlt und gebaut von der Deutschen Bahn.
Die Mitarbeiter des Hygienecenters haben in der Hauptstadt viel zu tun – nach Schätzungen der Landesarmutskonferenz leben 40 000 Menschen ohne eigene Wohnung in Berlin. Die durchschnittlichen Besucher seien Männer zwischen 40 und 50. Viele seien aus Osteuropa, weil es dort nicht die gleichen Angebote für Obdachlose gebe wie in Deutschland, sagt Nadolny.
So hilfreich das Angebot der Bahnhofsmission ist, so stellt es die Mitarbeiter laut Nadolny auch vor neue Herausforderungen. Polizei und Feuerwehr brächten manchmal stark pflegebedürftige Menschen ins Hygienecenter, erzählt der 32-Jährige.
Was viele nicht wissen: Gerade in heißen Monaten haben es immobile Menschen schwer. Sie litten unter schlechten hygienischen Bedingungen, lägen tagelang in ihren Ausscheidungen und hätten offene Beine oder entzündete Verletzungen. „In schlimmen Fällen faulen ihnen die Beine ab. Wir können sie dann nur waschen, und danach kommen sie ins Krankenhaus“, sagt Nadolny.
Für die Gefahren des Winters hätten die Menschen mehr Verständnis. Richtig gefroren hätte jeder schon mal, deswegen spendeten die Leute oft Winterkleidung wie Jacken oder warme Pullover. Dafür fehle es oft an Grundlegendem wie Unterwäsche oder Socken, so Nadolny. Ohne Socken aber drohen Erfrierungen an den Füßen.
Nur wenige Gäste des Hygienecenters seien weiblich, so der Sozialarbeiter. Sie haben dort die Möglichkeit, getrennt von Männern in zwei separaten Zellen in einem anderen Raum zu duschen. Auf der Straße werden Frauen leicht Opfer körperlicher oder seelischer Gewalt und sind damit besonders verletzlich. „Sie sind psychisch stärker angeschlagen. Das liegt vor allem an den schlechten Erfahrungen“, fügt Nadolny hinzu.
Den Menschen aus der Obdachlosigkeit helfen
Längerfristig will die Bahnhofsmission den Standort am Bahnhof Zoo weiter ausbauen. Aktuell reiche es nur dafür, den Status quo der Menschen mit Essen und einem Duschgang zu erhalten, erklärt Nadolny. „Wir wollen eine psychosoziale Beratungsstelle eröffnen, um den Menschen aus der Obdachlosigkeit zu helfen.“ Davon würde auch David profitieren: „Das Leben auf der Straße ist hart und ich habe nicht die Kraft, mich selbst aus der Situation zu holen.“
Das Problem Obdachlosigkeit werde in Deutschland ignoriert, kritisiert Nadolny: „Es gibt Leute, die vor der Tür verschimmeln oder sterben.“ Er wünsche sich, dass die Menschen mehr aufeinander aufpassen würden. „Die Gesellschaft sollte nicht nur auf Unterschiede von anderen achten, sondern mehr auf Gemeinsamkeiten.“