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Die Schattenseite des Paradieses

Es erscheint als Paradies auf Erden: Ein Mann und eine Frau schweben wie Adam und Eva inmitten einer üppigen Vegetation. Hinter Palmen ist das Chateau Marmont Hotel zu sehen – ein bekannter Schauplatz der Traumfabrik Hollywood. Doch beim zweiten Blick auf Ulrike Theusners wandfüllende Pastellzeichnung bekommt das vermeintliche Paradies Risse. Die Tiere, die sich in der dichten Vegetation tummeln, spielen nicht etwa friedlich, sondern reißen gerade ein Tier. Und Adam und Eva erweisen sich als maskierte Figuren auf einer Werbetafel.

Inspiriert zu diesem Bild wurde Ulrike Theusner durch einen Aufenthalt in Los Angeles. „Es ist eine Stadt, in der jeder seinem Traum nachjagt“, sagt die Künstlerin. „Aber es ist nicht so traumhaft, wie es scheint. Der Stärkere verdrängt den Schwächeren. Es ist ein Dschungel.“ Die trügerische Paradies-Version ist charakteristisch für die Arbeiten der Weimarer Künstlerin, die das Museum August Macke Haus in Bonn bis zum 17. August präsentiert. Unter dem Titel „Ulrike Theusner – Schattenseiten“ sind rund 80 Arbeiten der vergangenen 16 Jahre zu sehen. Zu sehen sind teils großflächige, farbige Zeichnungen, Druckgrafiken, Gemälde sowie eine Installation.

Im Mittelpunkt des Werks der 1982 geborene Künstlerin stehen Themen, die auch August Macke und andere Expressionisten interessierten: Menschen in der Natur, badend, in einem Boot oder als Spaziergänger am Meer. Stadtlandschaften und Szenen aus der Welt des Theaters oder Zirkus. Auch mit ihrer intensiven Farbigkeit haben Theusners Arbeiten eine Gemeinsamkeit mit denen des Hauspatrons. Doch Theusner verleiht diesen Motiven eine neue Zweideutigkeit.

Während Macke etwa die Farbe feierte, hat sie bei der knapp 100 Jahre nach ihm geborenen Künstlerin ihre Unschuld verloren. „Bonbon-Farben stehen im Kontrast zum Inhalt“, erklärt Theusner. „Sie stützen den Effekt der scheinbaren Idylle und verformen die Stimmung des Bildes.“ So nimmt Theusner zum Beispiel einem Blumenstilleben die Harmlosigkeit, indem sie flirrende Pastell-Striche in Rot, Magenta und Rosé nebeneinandersetzt und damit eine beißende Stimmung erzeugt.

Auch in Theusners Naturdarstellungen ist die Idylle gebrochen. Da treibt etwa ein junger Mann im Wasser. Ist es ein Bild von Einklang mit der Natur oder haben wir es mit einer Wasserleiche zu tun? In Theusners Stadtszenen liegen Himmel und Hölle nah beieinander. Eine von zwei schwarzen Putten eingerahmte Mitarbeiterin des Spielcasinos steht in strahlendem Licht vor einem Tisch mit der Aufschrift „heaven“.

Auch die Menschen, die Theusner porträtiert, sind zwiespältig. Einige tragen Masken oder bedecken einen Teil ihres Gesichts, etwa unter dem Pulloverkragen oder mit dem Smartphone. Oft starren sie mit leeren Augen. „Wer sind wir? Wie wollen wir leben? Wie treten wir uns gegenüber? Das sind zentrale Fragen in der Kunst, aber auch zentrale Fragen dieser Zeit“, stellt Theusner fest. Wenn Menschen sich maskiert begegneten, könnten sie nicht zusammenkommen.

Theusners Arbeiten spielten auf eine aggressive gesellschaftliche Stimmung an, wie sie auch die Künstler zur Zeit des Expressionismus wahrgenommen hätten, erklärt Museumsdirektorin Friederike Voßkamp, die die Ausstellung kuratierte. Ein eindrückliches Beispiel dafür ist die Pastellzeichnung „Das große Kreischen“ – ein Strudel aus maskenhaften menschlichen Gesichtern und Tierköpfen mit gefletschten Zähnen vor schwarzem Hintergrund. „Es liegt Spannung in der Luft“, kommentiert Theusner.

Dem Gemälde „Paradies“, das Macke 1912 gemeinsam mit seinem Künstlerfreund Franz Marc an die Wand seines Ateliers malte, setzt Theusner folglich ihre dystopisch anmutende Version entgegen. Während Adam und Eva bei Macke und Marc eins mit der üppigen Natur zu sein scheinen, besteht Theusners Installation „Eden“ aus Trockenblumen. Begleitet wird sie von einer Tonspur mit Auszügen aus Fjodor Dostojewskis Erzählung „Der Traum eines lächerlichen Menschen“, in der es um den misslungenen Versuch eines erneuerten Menschen auf einer zweiten, paradiesischen Erde geht. Einen hoffnungsvollen Ausblick bietet hingegen das letzte Bild der Ausstellung mit dem Titel „Reaching Out“: Eine Frauenfigur reckt sich durch eine Zimmerdecke hindurch den Sternen entgegen.

Ulrike Theusner lebt und arbeitet in Weimar und Berlin. Sie ist Absolventin der Bauhaus-Universität Weimar. 2013 wurde ihr grafisches Schaffen mit dem Grafik-Preis der Ilsetraud-Glock-Grabe-Stiftung ausgezeichnet, 2010 erhielt sie den ersten Preis der European Print Triennale Toulouse.