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Die Sache mit dem Schwert

Über den Predigttext zum 21. Sonntag nach Trinitatis: Matthäus 10,34-39

Predigttext
34 Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird’s finden.

Ach, Jesus. Ist das dein Ernst mit dem Schwert? Ich bin groß geworden mit dem alten biblischen Bild von Schwertern, die zu Pflugscharen werden: Eingeschmolzen, um statt Tod und Zerstörung Ernte zu bringen. Ich wurde sozialisiert in einer Kirche, in der glückliche Familien das Ideal darstellen: Miteinander der Generationen, Harmonie, fromme Eintracht. Und das willst du entzweien?

Ach, Jesus. Im Evangelium für diesen Sonntag sagst du: „Liebt eure Feinde“ (Matthäus 5,44) – aber bei denen, die mir am nächsten sind, willst du Spaltung bringen? Da willst du mit dem Schwert dazwischenhauen und mit scharfer Klinge trennen, was doch eigentlich zusammengehört?

Kann Liebe so exklusiv sein?

Ach, Jesus. Mit Verlaub, deine Worte klingen, als seiest du voller Eifersucht. Liebe mich! Ziehe mich allen anderen vor! Sonst bist du meine Liebe nicht wert. Als hätte man dir etwas weggenommen. Es klingt wie auf dem Schulhof, wo Kinder darum streiten, ob sie beste oder sogar allerbeste Freunde oder Freundinnen sind.

Kann Liebe so exklusiv sein? Kann ich nicht dich lieben und meine Familie, meine Freunde, meine Nächsten? Du, Jesus, bist doch selbst die Liebe. Du bist doch so viel mehr als das Objekt meines Liebens. Du bist die Basis dafür, dass ich lieben kann. Du bist der Grund meiner Hoffnung, meines Vertrauens, meiner Freiheit, die ich brauche, um anderen Liebe zu schenken.

Ach, Jesus. Ich tue mich schwer mit deinen Worten. Sie lassen sich so schwer übertragen in meine Lebenswelt. Ich stand nie vor der Entscheidung: Du oder meine Familie. Ich musste nie kämpfen für meinen Glauben. Allenfalls wurde ich mal für einen Spinner gehalten, weil ich mich zu dir bekannte – aber ich wurde nie bedroht, nie verfolgt, nie vor die Wahl gestellt zwischen einem Menschen und dir.

Darum sagt mir „Liebt eure Feinde“ mehr als „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert“. Darum stoße ich mich an dieser Radikalität. Sie dringt ein in meine Komfortzone. Sie stört mein Harmonie-Bedürfnis. Sie hält mir den Spiegel vor: Ich bin privilegiert. Ich komme gut ohne Schwert durch das Leben!

Ach, Jesus. Ich glaube, auch deine Jüngerinnen und Jünger haben sich daran gestoßen. Nach „Selig sind die Friedfertigen“ und „Liebt eure Feinde“ dürften sie anderes erwartet haben. Schließlich wurdest du angekündigt als Friede-Fürst, Heiland und Retter. Aber die Privilegien, die ich heute genieße, hast du ihnen noch nicht gebracht. Doch die Hoffnung auf ein Leben in Freiheit hast du in ihnen gepflanzt.

Auch viele meiner Zeitgenossinnen und Zeitgenossen können davon nur träumen. Erst in diesen Tagen waren wieder junge Menschen aus dem Iran bei mir. Sie mussten sich entscheiden zwischen ihrem Glauben und ihrer Familie. Sie haben einen scharfen Schnitt gemacht, alles zurückgelassen, was ihnen lieb und teuer war, um ihren Glauben leben zu können.

Und nun müssen sie sich wieder rechtfertigen. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge erwartet von ihnen Rechenschaft über ihren Glauben, wie sie ihn leben, mit wem sie darüber sprechen. Können sie ihr Christ-Sein nicht beweisen, droht ihnen die Abschiebung: Raus aus dem Frieden, rein in den Konflikt. Zwischen Bekenntnis und Familie, Heimat und Freiheit und Sicherheit.

Ach, Jesus. Ich fürchte, es ist dir ernst. Ich fürchte, wenn es hart auf hart kommt, dann werde auch ich vor der Wahl stehen: Woran hängt mein Herz? Was ist mir wichtiger? Mein Glaube? Meine Familie? Mein Freundeskreis? Mein Wohlstand? Mein Leben? Ich fürchte, es gibt Situationen, in denen ein Bekenntnis zu dir, zum Gott der Liebe, zum Schöpfer des Lebens, radikale Schnitte erfordert. Eine harte Abgrenzung von denen, die mir lieb sind. Und ja, vielleicht sogar den Verlust des Lebens. Nicht in meiner privilegierten Lebenswelt. Aber in dieser Welt, in der wir alle miteinander leben.

Ach, Jesus. Das alles ist weit weg von mir, deshalb stoße ich mich daran. Und doch ist es real. Und ich kann dich nur bitten: Geh mit denen, die ihr Kreuz zu tragen haben und führe sie zum Leben. Und wenn ich einmal vor der Entscheidung stehe, dann lass auch mich das Leben finden.