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Die Glückssucher

Rund 45 Millionen US-Amerikaner gaben beim Zensus 2020 an, deutsche Vorfahren zu haben. Das entspricht 14 Prozent der Gesamtbevölkerung. „Rund sieben Millionen Deutsche wanderten nach Amerika aus, allein bis zu zwei Millionen davon aus dem Südwesten Deutschlands“, sagte Rainer Schimpf, Leiter der neuen Ausstellung „American Dreams. Ein neues Leben in den USA“, am Donnerstag in Stuttgart. Die Schau öffnet am Freitag (17.11.) im Haus der Geschichte Baden-Württemberg ihre Pforten.

Die Deutschen seien damit die mit Abstand größte nicht englischsprachige Einwanderergruppe in den USA, erläuterte Schimpf. Ziel der Schau sei es, ihren Beitrag zu Kultur, Wirtschaft und Politik in den Vereinigten Staaten zu würdigen. Die Ausstellung tut das anhand von ausgewählten Biografien. Was die Auswanderer eint: Sie flohen vor Armut oder Verfolgung und wollten ihr Leben retten. Oder sie suchten Erfolg und Abenteuer. Sie alle hatten und haben ihre eigenen American Dreams.

Für die einen sind sie in Erfüllung gegangen: Für den bettelarmen Bauernsohn Andreas Huonker aus Leidringen im heutigen Zollern-Alb-Kreis etwa. „Entweder will i so arm sei, dass i koi Kapp me auf em Kopf trag, oder i wird reich“, hatte er verkündet, als er der Heimat 1869 mit 17 Jahren den Rücken kehrte in Richtung Amerika. Er wurde reich: Im Goldrausch in Alaska machte er ein Millionenvermögen. Die Kommunistin Anna Nill aus Mössingen bei Tübingen erwirtschaftete mit Immobiliengeschäften großes Geld. Einen Teil davon stiftete sie bedürftigen Kindern aus ihrer Heimatstadt. Der Pietist und Endzeitprophet Johann Georg Rapp aus Iptingen (Enzkreis) gründete im „gelobten Land“ die florierenden Idealsiedlungen „Harmony“ und „Economy“.

Für andere platzten die Träume wie Seifenblasen: Als Alkoholiker endete der Schwäbisch Haller Franz Gräter. Der Revolutionär war zur Auswanderung gezwungen worden und kehrte 16 Jahre später arm aus den USA nach Württemberg zurück. Rese Krapf zog vom Bodensee nach Providence, blieb dort aber zeit ihres Lebens einfaches Dienstmädchen. Andere Auswanderer verloren durch Gewalt und Krankheiten ihr Leben. So starben die meisten Angehörigen der aus der Nähe von Ulm stammenden Familie Fink Mitte des 19. Jahrhunderts im Dakota-Krieg gegen die einheimische Bevölkerung.

Gut 200 Originalobjekte aus drei Jahrhunderten – vom Goldrausch-Nugget bis zum asketischen Kopfkissen aus Holz – illustrieren die Geschichten der Auswanderer. Zudem bietet die Ausstellung ein umfassendes Digitalangebot, darunter Hintergründe zur Auswanderungsgeschichte. Von Künstlicher Intelligenz erstellte „Selfies“ – etwa vom legendären badischen Revolutionär Friedrich Hecker – machen zudem neugierig auf Geschichten zur Reise, zu den Regeln und zum Einleben in den USA.

Für Direktor Rainer Schimpf hat die Ausstellung auch einen ganz aktuellen Bezug. Denn Migration sei ein brennendes Thema. „Dabei sollten wir nicht vergessen, dass der Südwesten lange Zeit kein Ein-, sondern ein Auswandererland war“, sagte er. Die Menschen hätten ihre Heimat verlassen, weil sie von einem besseren Leben geträumt hätten – so wie das Menschen in anderen Teilen der Welt heute auch machten. Die Schau dauert bis zum 28. Juli 2024. (2744/16.11.2023)