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Die auffällige Wespenspinne breitet sich in Deutschland aus

Mit ihrem grellen Leib und der stattlichen Größe von bis zu 2,5 Zentimetern ist die Wespenspinne eine eindrückliche Erscheinung. Hierzulande sieht man sie nun immer öfter. Zu ihrer Expansion passt ein Hit von Bob Dylan.

Sie hängt wie ein Warnschild in den Wiesen: die Wespenspinne, benannt nach dem markant gemusterten Stechinsekt. Anders als Wespen können Wespenspinnen dem Menschen aber nicht wehtun. Also keine Bange bei folgender Nachricht: Die Wespenspinne breitet sich aus. Zunehmend erobert der wärmeliebende Achtbeiner, ursprünglich vor allem ums Mittelmeer zu Hause, das nördliche Europa – wohl in Folge des Klimawandels. Spinnenfreunde wie -phobiker dürften die Art deshalb immer häufiger zu Gesicht bekommen. Zeit also für etwas Aufklärung über dieses unverkennbare Wesen.

Los geht’s mit dem gelb-schwarzen Streifenmuster. Weil es zudem weiße Elemente enthält, heißt die Wespen- auch Zebraspinne. Beides passt: Einerseits bewirken die Streifen wie beim Zebra ein optisches Verschwimmen mit der Umgebung, also Tarnung. Andererseits sind sie ein Beispiel für Mimikry: Bestimmte Arten schützen sich, indem sie sich der Gestalt gefährlicher Tiere wie Wespen anpassen, um Feinde abzuschrecken. Bei der Wespenspinne tut das nur das Weibchen; das Männchen erscheint blass-braun.

Dazu erklärt der Biologe Roland Mühlethaler vom Naturschutzbund Deutschland (Nabu): “Als erwachsene Tiere sind die Männchen eigentlich nur daran interessiert, ein Weibchen zu finden.” Ihnen drohe ohnehin das Schlimmste: “Normalerweise werden die Männchen direkt nach der Paarung vom Weibchen gefressen.” Evolutiv sei das sinnvoll: “Sie dienen somit als Nahrung auch der Reifung der Eier.”

Die Arachnologische Gesellschaft, eine Vereinigung von Spinnentier-Experten, fügt an: Womöglich verhindere der Kannibalismus auch, dass sich ein Männchen mit mehreren Weibchen paare und so die Genvielfalt verringere.

Zwischen den Geschlechtern besteht übrigens ein gewaltiger Größenunterschied. Während es das Weibchen auf bis zu 25 Millimeter bringt und zu den größten heimischen Spinnenarten zählt, wird das Männchen nur um die fünf Millimeter lang.

Beide Geschlechter weben besondere Netze: Sie haben mittig ein dichtes Zickzackgeflecht. Zu dessen Zweck gibt es der Arachnologischen Gesellschaft zufolge mehrere Hypothesen. “Erstens: Das Muster dient dem Netz als ‘Stabiliment’, das das Netz beim Aufprall großer Insekten vor der Zerstörung schützen soll.” Zweitens könne es die Spinne tarnen, da ihre Zeichnung dem dahinterliegenden Zickzackmuster ähnele – man denke ans Zebra. Drittens: “Das Netzmuster soll für Insekten eine attraktive Wirkung im ultravioletten Bereich haben (Stichwort: Landebahn).”

Verfangen sich darin zum Beispiel Heuschrecken, schreiten die Wespenspinnen zur “wrap attack”, wie es vom Fachbereich Biologie der Universität Hamburg heißt. “Dabei ziehen sie mit den Hinterbeinen tausende von Spinnfäden aus den Spinnwarzen und wickeln das Insekt wie in Klarsichtfolie ein.”

Wespenspinnen hielten Insekten deutlich in Schach, so die Arachnologische Gesellschaft. Eine Untersuchung bei Jena habe ergeben, dass allein diese Art pro Hektar Wiese rund 4,5 Millionen Kleintiere im Jahr vertilge – also um die 80 Kilogramm Frischmasse.

So einen fleißigen Fliegenfresser sollte doch jeder gern im Garten haben, dürfte man meinen. Doch die Spinne hat nicht den besten Ruf; viele Menschen ekeln sich vor ihr. In der christlich geprägten Kultur mag das darin wurzeln, dass die Spinne laut Wissenschaftlichem Bibellexikon in der Heiligen Schrift durchgehend negativ konnotiert wird. Ihr Gewebe gelte etwa als fragil und daher als Sinnbild für gottloses Leben.

Dabei könnte man den Achtbeinern das Mückenmampfen ja durchaus als Nächstenliebe auslegen. Gerade in jenen Gebieten Bayerns, die jüngst vom Hochwasser betroffen waren. Dort sind derzeit besonders viele Wespenspinnen zu sehen – sie profitieren von der flutbedingten Blutsaugerplage, wie Nabu-Mann Mühlethaler sagt. Also noch mal zum Garten: Damit sich Wespenspinnen wohlfühlen, muss man nicht viel tun – eher weniger. So sollte in ein paar Ecken ungestört Gras wachsen, auch den Winter über. Denn die Mutter stirbt im Herbst; ihre Babys aber verharren in einem Kokon, den sie erst im Frühjahr verlassen.

Und dann geschieht geradezu Märchenhaftes: Der Nachwuchs klettert auf hohe Halme und sondert einen Faden ab, wie “Steinbachs Naturführer” schreibt. “Dieser schwebt im Wind davon und trägt schließlich, nachdem er immer weiter verlängert wurde, die winzige Jungspinne mit sich.”

“Blowin’ in the Wind” ist also nicht nur ein Stück Musikgeschichte von Bob Dylan. Es ist auch die erfolgreiche Verbreitungsstrategie einer ganz besonderen Spinnenart.