85 Jahre nach dem Nazi-Pogrom: Die zentrale Gedenkveranstaltung in einer Berliner Synagoge steht unter großem Polizeischutz. Auch der Bundestag bekundet Sorge vor neuen Antisemitismus.
Deutschland hat am Donnerstag mit Gedenkveranstaltungen und Mahnwachen der Novemberpogrome von 1938 gedacht. Der Bundestag rief zum Schutz jüdischen Lebens in Deutschland heute auf.
Bei der zentralen Veranstaltung in der Berliner Synagoge Beth Zion sagte der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, in der Bundesrepublik sei “etwas aus den Fugen geraten”. Zuletzt habe er das Land zuweilen nicht wiedererkannt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte, jede Form von Antisemitismus vergifte die Gesellschaft. Wer Terrorismus unterstütze und antisemitisch hetze, werde strafrechtlich verfolgt. Auch stehe Antisemitismus einer Einbürgerung entgegen.
Die Gedenkveranstaltung in der Synagoge stand unter massivem Polizeischutz. Unter den Teilnehmenden waren Holocaust-Überlebende, Angehörige von Geiseln im Gazastreifen, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Minister und Ministerinnen, Israels Botschafter Ron Prosor sowie Vertreter der Religionen. Militärbundesrabbiner Zsolt Balla rezitierte die Trauergebete und nannte dabei auch Namen von Kibbuzim, in denen die Hamas am 7. Oktober gewütet hatte.
Schuster sagte, nach dem Hamas-Terror sei in Deutschland zugelassen worden, öffentlich die Vernichtung Israels und die Auslöschung aller Juden zu propagieren. Tausende Menschen mit arabischem Migrationshintergrund hätten sich, aufgehetzt von radikalen Fanatikern, auf die Straße getraut und all dies gefordert. Angesichts von rund 1.400 Toten und etwa 240 Entführten sprach er vom “Pogrom unserer Zeit”. Schuster sieht Parallelen in der Geisteshaltung radikaler Islamisten und den “rechtsextremen Verächtern unserer Erinnerungskultur”. Aber auch in immer mehr linken Kreisen sei eine Verachtung zu spüren.
1938 waren vom 7. bis 13. November im damaligen Reichsgebiet zwischen 400 und 1.300 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben worden. Mehr als 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe wurden zerstört. Rund 30.000 Juden wurden in Konzentrationslager verschleppt.
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas sagte die Bundestag, die historische Verantwortung Deutschlands für jüdisches Leben müsse sich in konkretem Handeln zeigen. Der Schutz jüdischen Lebens sei dringender denn je. An der Debatte im Bundestag nahmen als Gäste auch die Berliner Holocaust-Überlebende Margot Friedländer, Schuster und Prosor teil.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sagte, nicht einmal vor den Jüngsten mache der neu aufflammende Hass halt. “Wenn jüdische Kinder Angst haben müssen, zur Kita und in die Schule zu gehen, wenn wir strengere Sicherheitskonzepte brauchen, um sie auf dem Weg zum Unterricht zu schützen, dann beschämt mich das und bricht mir das Herz”.
Der Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, verlangte, dass Antisemitismus auch strafrechtlich als besonders schwere Form der Volksverhetzung eingestuft werde. Außerdem sollten antisemitische Straftaten im Aufenthaltsgesetz zu einer Ausweisung führen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sagte, sein Beispiel zeige, dass Deutschland Heimat für Menschen unterschiedlicher Muttersprachen, Religionen und Weltanschauungen sei. Das erfordere aber auch Regeln. Sympathien für den Terror der Hamas zu zeigen, “geht nicht”, sagte Özdemir.
Der Co-Fraktionsvorsitzende der Linken, Dietmar Bartsch, sagte, jüdisches Leben gehöre “zur DNA des deutschen Selbstverständnisses als Land der Dichter und Denkerinnen”. Die FDP-Abgeordnete Linda Teuteberg unterstrich, dass “jeder Antisemitismus, egal aus welchem politischen Lager, egal mit welchem kulturellen Hintergrund gleichermaßen inakzeptabel” sei.
Auch in Landtagen und Kommunen gab es Gedenkstunden. In NRW bekannten sich Landesregierung, Religionsgemeinschaften, Arbeitgeber und Gewerkschaften zu ihrer Verantwortung, jüdisches Leben zu schützen. Unterzeichnet haben die gemeinsame Erklärung neben Ministerpräsident Hendrik Wüst unter anderen der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki für die fünf katholischen Bistümer in NRW, die westfälische Präses Annette Kurschus für die drei evangelischen Landeskirchen, Ali Yilmaz vom Verband der Islamischen Kulturzentren und Abraham Lehrer für die jüdischen Landesverbände.