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Der Tod wird immer selbstverständlicher

Vom Agrarwissenschaftler zum Bestatter: Thomas Kremer hatte eine berufliche Krise. Dadurch kam es zu einer Auszeit – und zu einem neuen beruflichen Tätigkeitsfeld. Andererseits begleitet ihn die Frage nach dem Umgang mit dem Tod schon lange.

Bis vor Kurzem arbeitete Thomas Kremer im Gartenbereich. Er hat Rasenmäher verkauft. Und Rasen – für Golfanlagen zum Beispiel. Oder Fußballplätze. „So gesehen hat sich meine Tätigkeit nur ein bisschen verlagert“, scherzt er. „Früher war mein Arbeitsbereich über dem Rasen, jetzt ist er darunter.“

Thomas Kremer ist seit einem dreiviertel Jahr Bestatter im westfälischen Hörste, einem Ortsteil von Halle. Er sitzt in seinem „Laden“, wie er es nennt, und scheint sich wohlzufühlen.

Der Tod ist sein Lebensbegleiter

Darf man denn so salopp über das Thema sprechen? „Ja, klar“, meint der 57-Jährige. „Ich finde, wir müssen viel selbstverständlicher mit dem Tod umgehen.“ In seinem Leben wurde er bereits mehrmals mit dem Tod konfrontiert. „Der Tod ist mein Lebensbegleiter“, sagt Thomas Kremer. 1989 starb seine Nichte im Alter von gerade drei Monaten. Seine Schwester starb mit 36 Jahren an Krebs. „Ich könnte noch mehr aufzählen.“

Sehr geprägt hat ihn auch die Krankheit seines Sohnes. „Unser Paul war als Kind sehr krank. Er hat zwei Jahre lang gekämpft – und es Gott sei Dank geschafft.“ Durch diese verschiedenen Erlebnisse stellte sich ihm immer wieder die Frage nach dem Tod. So lag für ihn die Ausbildung zum Hospizhelfer nahe. Seit 15 Jahren engagiert er sich ehrenamtlich in der Hospizgruppe in Halle.

Dass Tod und Sterben aber jemals zum Beruf werden könnten, war nicht absehbar. Denn Thomas Kremer hat Landwirt gelernt und anschließend Agrarwissenschaften studiert. Danach war er Jahrzehnte in dem Bereich aktiv. Erst im Vertrieb von Landmaschinen. Später wechselte er in den Gartenbereich.

„Ich war viele Jahre im Vertrieb. Dieser ständige Druck, gute Verkaufszahlen zu liefern, hat mir irgendwann zu schaffen gemacht“, erzählt er. Das wurde so schlimm, dass er krank wurde. „Ich litt an Burnout, hatte massive Depressionen.“ Thomas Kremer war in der Klinik, hat eine Therapie gemacht und stieg wieder in seinen Job ein. „Das ging aber nur drei Jahre lang gut. Dann habe ich gemerkt, dass ich es einfach nicht mehr schaffe.“ So wurde er arbeitslos.

In diesen Monaten orientierte er sich neu, versuchte in Praktika herauszufinden, was ihm liegen könnte. Eines Abends wollte die Freundin des Sohnes Paul eine Dokumentation über Bestatter im Fernsehen anschauen. Vater Thomas schaute mit. „Da hat es ,klick‘ gemacht und ich dachte: Das wäre was für mich“, sagt er. Er fand einen Bestatter in Bielefeld, bei dem er sieben Monate mitarbeiten konnte. „Der Mann wurde mir zum Freund, wir sind seitdem in Kontakt. Die Zeit bei ihm hat mich bestärkt, mein Vorhaben umzusetzen.

Es lief vieles glatt. Thomas Kremer fand in seinem Wohnort einen Raum, in dem er sein Bestattungsinstitut einrichten konnte. „Meine Familie hat mich unterstützt. das ist nicht selbstverständlich.“ Bis dahin, dass Sohn Paul immer wieder mal mit anpackt. Paul ist gerade in der Berufsorientierungsphase. „Er überlegt jetzt, die Ausbildung zum Bestatter zu machen.“

Sarg bauen für Männer, Urnen gestalten für Frauen

Nun gilt es für Thomas Kremer, sich einen Namen zu machen. „Man muss sich als neuer Bestatter erst einmal etablieren“, sagt er. Es gibt viele Familienbetriebe, er fängt bei null an. „Damit habe ich aber auch die Chance, manches anders zu machen. Es so zu machen, wie ich es gut finde.“

Dazu gehören die Veranstaltungen, zu denen er gelegentlich in seinen „Laden“ einlädt. Kürzlich ging es an einem Abend um „Bestattungskulturen der Welt“. Im Sommer lud er dazu ein, einen Sarg zu bemalen. Dafür hatte er eigens eine Künstlerin vor Ort. „Ich möchte den Tod ins Leben holen. Das heißt nicht, dass ich ihn schönreden will. Aber es ist doch wichtig, mit dem Tod umzugehen.“ Im nächsten Jahr plant er einen Sargbauworkshop für Männer und Urnengestaltung für Frauen.

In seiner Zeit als „Praktikant“ in Bielefeld und als Bestatter seit Februar hat er schon allerhand erlebt. Er erzählt von einem 15-Jährigen, dessen Großvater gestorben war und die beiden eine innige Beziehung hatten. Dem Jungen hatte er angeboten, dass dieser die Urne seines Großvaters in das Grab hinablässt. „Er war erst zögerlich, wollte es dann aber machen“, erzählt Thomas Kremer. „Einige Zeit nach der Bestattung kam er nochmal vorbei und hat sich bedankt. Das habe ihm viel gegeben.“ Als er das erzählt, kommen Thomas Kremer die Tränen. „So etwas bewegt mich schon sehr.“

Überhaupt sind ihm die Menschen wichtig, die ihn aufsuchen. „Wenn ich merke, die Beziehung zu dem Verstorbenen war nicht gut, spreche ich das Thema Versöhnung an.“ Manche sagten, dafür sei es zu spät. „Aber ich rate ihnen, entweder am Sarg noch zu dem Toten zu sprechen oder ihm einen Brief zu schreiben und darin entweder um Verzeihunh zu bitten oder zu schreiben, dass man dem Toten verziehen hat.“ Er habe schon den ein oder anderen Brief mit beerdigt. „Kinder freuen sich manchmal, wenn sie der Oma noch ein Bild mit ins Grab geben dürfen.“

Zu seinen Kunden gehören auch Menschen, die keine kirchliche Bestattung wollen. Für sie bietet Thomas Kremer auch Trauerfeiern in seinen Räumen an. Er hält gern Traueransprachen. „Auch wenn die Angehörigen kirchenfern sind, frage ich sie, ob ein Vaterunser okay ist. Meistens ist es das und hinterher sagen sie, es habe gut getan, zu beten.“

Der Glaube an Gott und an das ewige Leben ist für Thomas Kremer eine wesentliche Motivation für seine Arbeit. „Ohne Glaube könnte ich das nicht gut machen. Mein Glaube ist mein Lebensinhalt. Er trägt mich.“ Er berichtet von einem Mann, der mit 25 Jahren durch einen Verkehrsunfall ums Leben kam. Ein anderer starb innerhalb kürzester Zeit an Krebs und hinterließ eine Familie mit Kindern. „Das ist hart. Da hilft es mir zu denken, wenn jemand stirbt, geht er aus dieser Welt. Aber eben nur aus dieser. Klar kann man das nicht beweisen, aber es ist meine Überzeugung.“

Thomas Kremer hat sich seinen Sarg ausgesucht

Thomas Kremer schaut auf die Uhr. Er war vorhin im Krankenhaus, ein über 80-Jähriger ist gestorben. Die Sterbeurkunde hat er bereits. Nachher kommt die Familie vorbei, um Sarg und Urne auszusuchen und das weitere Vorgehen zu besprechen. Abends holt er den Toten aus dem Krankenhaus und macht die hygienische Versorgung.

Das ist nun sein Berufsalltag. „Mir macht das alles nichts aus. Im Gegenteil, der Umgang mit dem Tod wird immer selbstverständlicher.“ Schon lange hat er sich Gedanken über seinen eigenen Tod gemacht und sich damit auseinandergesetzt. Auch einen Sarg hat er sich bereits ausgesucht. Ein wahres Schmuckstück aus Olivenholz. Aber Thomas Kremer hat nichts dagegen, wenn der Sarg noch lange leer bleibt.