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Der Schmierstoff

Alkohol funktioniert als Stress-Löser in unserer überforderten und oberflächlichen Gesellschaft Von Michael Annecke

Von Michael AnneckeTrinken von Alkohol gehört in unserer Gesellschaft so selbstverständlich zur Alltags-„Kultur“ wie Arbeiten, Essen oder Schlafen. Alkohol ist mit Abstand die Alltags-Droge Nr. 1 und über Probleme, die diese Droge verursacht, wird – wenn überhaupt – nur episodisch und oberflächlich diskutiert. In der Regel versichert man sich, dass man alles im Griff habe und nur eine kleine Minderheit zu viel trinke und für diese „wirklichen Alkoholiker“ gebe es ja ausreichend Hilfe und Rat. Der Blick auf Tatsachen und Zahlen offenbart eine unverändert erschreckende Dimension des Alkoholismus und seiner Auswirkungen. Der letzte Drogenbericht der Bundesregierung vom Mai 2013 berichtet, dass fast ein Drittel aller Deutschen an der Schwelle zum Alkoholismus steht: Jeder dritte männliche Erwachsene und gut jede fünfte erwachsene Frau konsumiert Alkohol in gesundheitlich riskantem Ausmaß. Im internationalen Vergleich ist Deutschland ein Land mit hohem Pro-Kopf-Konsum und sehr niedrigen Abstinenzraten. Nur etwa 2,5 Prozent aller Alkoholabhängigen kommt als Notfall in eine psychiatrische Klinik und eine Entwöhnungsbehandlung treten lediglich etwa 1,7 Prozent aller Alkoholabhängigen an. Im Schnitt vergehen von den ersten Alkoholproblemen eines Menschen bis zum Antritt einer stationären Alkoholbehandlung fast zwölf Jahre.Warum ändert sich nichts?Das Ausmaß der Folgen des Alkohol-Konsums wird nach wie vor nur in Fachkreisen diskutiert und auf routinemäßig stattfindenden Alibi-Veranstaltungen („Keine Macht den Drogen“) abgehandelt. Unverändert funktioniert Alkohol als Schmiermittel in unserer überforderten, oberflächlichen und permanent ablenkbaren Gesellschaft. Dem einzelnen suchtkranken Menschen wird suggeriert, dass mit ihm etwas nicht stimmt und dafür wird er allein verantwortlich gemacht. Ihm haftet der Ruf an, etwas verloren zu haben und mit ihm stimme etwas nicht mehr. Er wird „entgiftet“, maximal ist eine Therapie, dann aber soll er nüchtern bleiben und den Betrieb nicht weiter stören, vor allem nicht mit seiner Abstinenz. (…)

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