Es ist eine noch heute verblüffend relevante Geschichte über die glamouröse und rücksichtslose Welt der Reichen in einer Zeit gesellschaftlicher Umbrüche: der Roman „Der große Gatsby“ von F. Scott Fitzgerald, erschienen vor 100 Jahren. Im Mittelpunkt stehen der superreiche Jay Gatsby, Veranstalter rauschender Partys. Woher dessen Reichtum stammt, bleibt geheimnisvoll. Er sei ein früherer deutscher Spion, vermuteten manche, oder Alkoholschmuggler. Oder er habe jemanden umgebracht.
„The Great Gatsby“, inzwischen mehrmals verfilmt, erschien am 10. April 1925 in den USA und war der dritte Roman des jungen F. Scott Fitzgerald (1896-1940). Anfangs waren die Kritiken gemischt. Heute ist das Buch ein Muss, schon in Highschool und College.
Die 1920er Jahren werden in den USA die „wilden Zwanziger“ genannt. Die Wirtschaft wuchs, die Reichen wurden schnell reicher, Menschen zogen vom Land in die Stadt und fanden Arbeit in den neuen Fabriken. Frauen griffen nach gesellschaftlicher Freiheit. 1920 erhielten sie das Wahlrecht. Das von 1920 bis 1933 geltende Alkoholverbot wurde weitgehend ignoriert. Im Roman fließt in Gatsbys Villa unweit von New York City der Champagner und das Orchester spielt „goldgelbe Cocktailmusik“ und Jazz.
Die Geschichte wird aus der Sicht von Nick Carraway erzählt, Veteran des Ersten Weltkrieges. Er ist eher bescheiden, tätig an der Börse. Carraway ist Gatsbys Nachbar, freilich mit einem kleineren Haus und weniger Geld. Er ist Gast und Beobachter in der oftmals oberflächlichen Welt der Superreichen. Gatsby bietet Nick bei einer der großen Party einen Flug in seinem neuen Wasserflugzeug an, man hat Affären, hängt an heißen Sommertagen planlos herum. Bedienstete sorgen für das Wohl.
Nick erzählt auch von einer jungen Frau, seiner entfernten Cousine Daisy Buchanan. „Ich freue mich w-wahnsinning“, habe sie gesagt beim Treffen. „Sie lachte abermals, als hätte sie etwas besonders Geistreiches gesagt … und ihr Blick versprach, dass es auf der ganzen Welt niemanden gab, den sie in diesem Moment lieber gesehen hätte.“
Daisy wird zu einer Hauptfigur. Nick findet heraus, dass Gatsby umgetrieben wird von Sehnsucht nach ihr. Er wollte sie heiraten, zu einer Zeit, als er noch nicht reich war. Daisy, aus wohlhabendem Hause, aber hatte sich für einen anderen entschieden: Thomas Buchanan aus reicher Familie.
Dieser Buchanan denkt rassistisch, macht sich Sorgen, die Weißen könnten unterjocht werden. Man müsse aufpassen, dass die anderen „Rassen“ nicht eines Tages die Macht übernähmen, meint er. „Wir müssen sie niederschlagen“, flüstert Daisy im Roman, „und blinzelte wild in die glühende Sonne“. In der realen Welt zogen im August 1925 mehr als 30.000 Anhänger der weißen Hassorganisation Ku-Klux-Klan durch die Hauptstadt Washington. Tom und Daisy Buchanans Sorgen würden gut zu Donald Trumps Warnungen vor einer „Invasion“ der USA passen.
„Der große Gatsby“ liest sich heute erstaunlich aktuell, in der Zeit nach der Corona-Pandemie und in einer politischen Welt, in der Milliardäre im US-Regierungskabinett rücksichtslos vorgehen. „Fitzgerald und seine Generation kamen aus dem Ersten Weltkrieg heraus. Sie kamen aus der Grippepandemie heraus“, erklärte die Professorin, Literaturkritikerin und Gatsby-Expertin Maureen Corrigan in einem Rundfunkinterview. Mehr als 600.000 Menschen starben 1918 und 1919 allein in den USA an der Grippe. Also, erklärte Corrigan: „Es gab das Bedürfnis, alles zu vergessen, zu feiern, sich wieder richtig lebendig zu fühlen, bis zum Exzess zu trinken, bis zum Exzess zu tanzen.“
Als wegweisende Passage zur Beschreibung der Superreichen im Buch kann eine gelten, in der die „careless people“ beschrieben werden – die sorglosen, leichtfertigen Menschen um Gatsby. „Sie zerstörten Dinge und Lebewesen, und dann zogen sie sich wieder in ihr Geld oder ihre grenzenlose Leichtfertigkeit zurück oder was immer es war, das sie zusammenhielt, und sie ließen andere das Chaos beseitigen, das sie angerichtet hatten.“
Die Formulierung „careless people“ hallt nach im kulturellen Gedächtnis der USA: Eine frühere Mitarbeiterin des Konzerns Meta, Sarah Wynn-Williams, hat im März 2025 ein Buch über Facebook und dessen Chef Mark Zuckerberg veröffentlicht mit dem Titel „Careless People: A Cautionary Tale of Power, Greed and Lost Idealism“, eine „Warnung vor Macht, Gier und verlorenem Idealismus“. Im Rundfunksender NPR sagte Wynn-Williams, Zuckerberg sehe die Welt als ein Brettspiel, wie das Strategiespiel „Risiko“.
Fitzgeralds Buch erschien nur wenige Jahre vor dem großen Börsencrash von 1929. Vermögen kollabierten und Menschen weltweit wurden in Not und Hunger gestürzt. „Der große Gatsby“ lasse anklingen, dass die Party nicht andauern könne, sagt Literaturprofessorin Corrigan. Heute habe man wieder ein Gefühl der Angst davor, was als Nächstes kommen könnte.