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Das „Kerkhotel Biervliet“: Wie eine Dorfkirche umgewidmet wird

In der niederländischen Provinz Zeeland gibt es einiges zu entdecken, unter anderem eine Kirche voller Überraschungen. Carsten Wicke geht auf Entdeckungstour.

Das Kerkhotel zeigt ein Gleichgewicht zwischen alten und neuen Elementen
Das Kerkhotel zeigt ein Gleichgewicht zwischen alten und neuen ElementenCarsten Wicke

Bei unseren Sightseeing-, Fahrrad- und Wandertouren gehört es für uns dazu, sakrale historische Bauten zu besichtigen und in Stadt- und Dorfkirchen auch eine Kerze zum Gedenken für verstorbene Familienmitglieder und Freunde anzuzünden.

Überraschender „Wow-Effekt“

Tagelang konnten wir in der Region „Zeeuws Vlaanderen“ keine Besichtigungen durchführen, da die Türen und Tore der kirchlichen Gebäude verschlossen waren. So war die Freude groß, als wir während einer Fahrradtour im Hinterland von Breskens in dem kleinen Dorf Biervliet bei einen Blick zur Seite ein geöffnetes Holzportal der örtlichen Kirche wahrnahmen. Endlich die Möglichkeit, eine Kirche von innen zu besuchen und für kurze Zeit innezuhalten – und dann kam der große überraschende „Wow-Effekt“.

Im Eingangsbereich am Gemäuer waren verschiedene Schilder mit der Aufschrift „Kerkhotel Biervliet“ und „Sternen“ angebracht, und nach Durchschreiten des Portals und dem Öffnen einer weiteren Tür aus Glas stellte sich ein überwältigender Anblick dar. Das Gebäude entpuppte sich als eine ehemalige römisch-katholische Dorfkirche, in der ein Vier-Sterne-Hotel mit 16 Zimmern und Frühstücksangebot entstanden war.

Benennung der Zimmer mit Bezug zur Kirche

Nach einer sehr freundlichen Begrüßung durch die empathische Besitzerin des Kerkhotels und meinem Hinweis, dass ich beruflich mit kirchlichen Liegenschaften betraut bin und gerade Umwidmungen von Kirchengebäuden in der evangelischen Kirche thematisiert werden, führte uns die Besitzerin durch das Kirchenschiff und verschiedene Übernachtungszimmer und erzählte uns zahlreiche Details zur Vergangenheit und Gegenwart der alten Dorfkirche.

Dieses Hotel war einst eine neugotische Kirche (1880-2015) und hieß „H. Maagd Maria Onbevlekt Ontvangen“ (Unbefleckte Empfängnis Unserer Lieben Maria). 2021 wurde sie völlig umgestaltet. Bei der Renovierung wurde die religiöse Geschichte in sehr angemessener Weise berücksichtigt, so dass ein perfektes und harmonisches Gleichgewicht zwischen alten und neuen Elementen entstanden ist. Hervorzuheben sind die alte Orgel, Buntglasfenster, Kirchenbänke und Stühle sowie die Statuen der Jungfrau Maria. Im ehemaligen Kirchenschiff mit Altar wurde ein luxuriöser Speise- und Aufenthaltsraum errichtet. Alle Zimmer sind in die rechten und linken Seitenbögen der Kirche eingebaut, im Obergeschoss im Kirchenbogen zusätzlich mit neuen Böden und gewölbten Decken. Sämtliche Zimmer erhielten einen Namen mit Bezug zur Kirche: im Erdgeschoss „Altar“, „Beichtstuhl“, „Kanzel“, „Taufbecken“, „Pastor“, „Apostel“, „Engel“ und „Messdiener“; im Obergeschoss waren Jünger und Heilige Namenspatinnen und -paten.

Es war beeindruckend, was für einen überwältigen Umbau mit Respekt vor der einstigen Nutzung als Gotteshaus die beiden Eigentümerinnen Marian (langjährige Leiterin einer Kindertageseinrichtung) und Susanne (ehemalige Büroangestellte) geschaffen haben.

Besonders auffällig war, wie sich viele historische Relikte mit modernen Gestaltungselementen ergänzen und einen sehr hochwertigen und geschmackvollen sowie detailverliebten Eindruck machen. Aufgrund der verschiedensten Aufenthaltsmöglichkeiten im Hauptschiff, Altarraum und Orgelpodium entdeckt man immer wieder neue Perspektiven auf die alte Kirche, ganz besonders die zahlreichen Ornamente und Bögen.

Mit Gottes Segen umhüllt und behütet

Der Aufenthalt im Kerkhotel ist ein Wechselbad der Gefühle; befindet man sich in einer frisch sanierten, modernen und multifunktionalen Kirche oder in einem stylischen und gehobenen Wohlfühlhotel? Beim Eintritt ins Kerkhotel kann man wirklich feststellen: „Herzlichst willkommen sowie mit Gottes Segen umhüllt und behütet“. Die religiöse Wertvorstellung der Kirche ist erhalten geblieben und wird weiterhin durch die gelungene Verzahnung von alten und neuen Elementen wertgeschätzt, zumal die Eigentümerinnen die Räumlichkeiten auch zu gemeindlichen, kulturellen und gastronomischen Nutzungen, Feierlichkeiten und Seminaren anbieten.

Mit Bezug auf das Motto der evangelischen Kirchen im Rheinland und Westfalen, „Umbrüche gestalten“, zeigt die neue Nutzung der alten Kirche in Biervliet, dass eine Kirche „im Dorf“ bleiben kann und nicht ungenutzt bleiben oder abgerissen werden muss. Veränderungen sind notwendig; mittlerweile sind uns in der evangelischen Kirche einige Neuentwicklungen von Kirchen, Gemeindezentren und kirchlichen Liegenschaften gelungen. Doch leider fehlen nicht selten der Mut und Ausdauer, die finanziellen Mittel sowie auch die versierten Ideengeber, Planer und ausführenden Fachfirmen. Veränderungsprozesse sind angestoßen und es bleibt für die Zukunft zu hoffen, dass diese vermehrt Akzeptanz finden.

Carsten Wicke ist Sachbearbeiter für bebaute und unbebaute Grundstücke in der Liegenschaftsabteilung des Evangelischen Kreiskirchenamts Hamm.