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Christliche Begegnungstage 2024: Warum sie so wichtig sind

Im Interview berichtet Frank Schürer-Behrmann, Superintendent des Kirchenkreises Oderland-Spree, über die Vorbereitungen der Christlichen Begegnungstagen in Frankfurt (Oder) und Słubice.

Frank Schürer-Behrmann, Superintendent  des Evangelischen Kirchenkreises Oderland-Spree.
Frank Schürer-Behrmann, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises Oderland-Spree.EKD

Herr Schürer-Behrmann, seit mehr als einem Jahr wird das Veranstaltungswochenende der Christlichen Begegnungstage vorbereitet. Warum ist der Aufwand gerechtfertigt?
Schürer-Behrmann: Die deutsche Gesellschaft nimmt unsere Nachbarländer in Mittel- und Osteuropa immer noch viel zu wenig wahr. Und da machen wir als Kirchen keine Ausnahme. Wer weiß schon, dass es in der Slowakei eine halbe Million Protestanten gibt, die fast zehn Prozent der Bevölkerung ausmachen? In Ungarn sind es fast anderthalb Millionen. Und auch die kleineren Kirchen in Polen oder Tschechien leisten wichtige Beiträge in Bildung und Diakonie. Ganz abgesehen von unserer reichen und schwierigen gemeinsamen Geschichte, die dort die meisten kennen, bei uns kaum jemand. Da gibt es viel zu entdecken und zu lernen!

Ökonomisch gefragt: Was ist der geistliche, spirituelle, kirchenpolitische, theologische „Return on Investment”?
Die protestantischen Kirchen in Mittel- und Osteuropa leben schon lange als Minderheitskirchen. Ihr alltäglicher Glaube, ihre theologischen Diskussionen und ihr diakonisches Engagement unter früheren und aktuellen autoritären Herrschaft können uns inspirieren. Wir können umgekehrt unsere Themen an Sie herantragen.

Welche Themen? Auch Streitpunkte?
Letztes Jahr hat die polnische Kirche endlich die Frauenordination beschlossen – auch wegen der langjährigen Kontakte. Das wirkt auch in die Gesellschaft. Dass das nicht selbstverständlich ist, sieht man an Lettland, wo die Frauen­ordination wieder abgeschafft wurde. Die populistischen europa-kritischen Bewegungen in Polen, Ungarn und der Slowakei sind auch eine Reaktion drauf, dass die osteuropäischen Gesellschaften das Gefühl haben, nicht gesehen und gehört zu werden. Wir gucken hin, hören zu und feiern mitein­ander – so können Verständnis und Vertrauen wachsen.

Ist für Sie und die Christinnen und Christen im Kirchenkreis entlang der Oder die Begegnung mit den polnischen Nachbarn nicht längst zum Alltag geworden?
Von den Brücken über Oder und Neiße vor 1945 sind ein großer Teil nicht wieder aufgebaut. Selbst in Eisenhüttenstadt gibt es keine Brücke über den Fluss. Das Bundesverkehrsministerium weigert sich seit Jahren, den Ausbau der Ost-Bahnstrecke nach Küstrin und Gorzów/Landsberg in die Planung aufzunehmen. Die von LKWs aus Osteuropa schwer befahrene Autobahn A 12 hat nur zwei Spuren. Versuchen Sie mal, in Brandenburg Polnischlehrer*in zu werden. Unsere Polnisch-Kenntnisse liegen weit hinter den Deutsch-Kenntnissen der Polen.

Luftbild von Frankfurt (Oder) und Słubice.
Luftbild von Frankfurt (Oder) und Słubice.Willi Wallroth, CC0/Wikipedia

Das sind ärgerliche Defizite. Gibt es auch Hoffnung, gute Entwicklungen?
Es gibt viel Austausch, und ich bin immer wieder beeindruckt von dem Engagement in Sportvereinen, Feuerwehren, Schulen und Kirchengemeinden. Besonders berühren mich gute und herzliche Beziehungen zwischen Familien, die aus den Gebieten östlich der Oder vertrieben wurden, zu den polnischen Familien, die heute in ihren früheren Häusern wohnen. Die waren ja oft selbst Flüchtlinge aus dem östlichen Polen. Da gibt es allerhand, aber zu einer lebendigen gemeinsamen Region beidseits der Oder mitten in Europa liegt noch eine weite Strecke vor uns.

Viele Veranstaltungen zu den Christlichen Begegnungstagen finden Open Air statt. Wollen die Protestanten öffentlichkeitswirksam Flagge zeigen?
Das war eine bewusste Entscheidung. Wir wollen in der Stadt sichtbar sein und auch einen Beitrag leisten. Am Wochenende der Europawahl leben wir öffentlich Europa und zeigen, dass das „christliche Abendland“ nicht für Nationalismus und Ausgrenzung steht, sondern für Gemeinschaft und Mitmenschlichkeit. Wer sich davon ­berühren lässt, kann eigentlich niemanden wählen, der Abgrenzung und Egoismus predigt.

„Nichts kann uns trennen“, ist die Devise der Christlichen Begegnungstage. Vor allem beteiligen sich evangelische Christinnen und Christen aus Ländern des ehemaligen Ostblocks. Plus Österreich. Vielfach geht es um Regionen, in denen die evangelische Konfession stark unterrepräsentiert ist. Was verbindet Christinnen und Christen aus diesen Regionen? Was trennt sie, was zeichnet sie aus?
Wir sprechen hier von protestantischen Kirchen. Als Kirchen, die im Laufe der Geschichte meistens Minderheitskirchen waren und oft sogar verfolgt, mussten sie sich ihrer Beweggründe immer besonders bewusst sein. Das hat zu hohen Bildungsstandards, auch hinsichtlich des Glaubens, geführt. Sie kennen ihre Tradition und können ihren Glauben formulieren. Sie sind mutig im Bekennen. Und trotzdem wollten sie Teil ihrer Gesellschaften sein und haben sich aktiv in Diakonie und Fürsorge eingebracht. Heute stehen sie auch für die Menschenwürde der anderen ein. Bei aller Gemeinsamkeit – zu den katholischen oder orthodoxen Großkirchen gibt es doch erhebliche Unterschiede.

Ein wahrhaft mitteleuropäisches Thema, zumal in Polen und in Ländern, die eine Grenze mit Russland haben, ist die Ukraine. Wird in Frankfurt (Oder) die Situation der Menschen dort thematisiert, der unchristliche Angriff der Russen auf das Land?
Wir sind froh und sogar stolz, dass wir zwei Busse mit Teilnehmenden aus der Ukraine erwarten, und auch zwei Bischöfe – den Lutheraner Pavlo Shvarts aus Charkiw und den reformierten Sándor Zán Fábián aus der Westukraine. Sie werden mit dem Friedensbeaufragten der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD), Bischof Friedrich Kramer aus Magdeburg, sprechen, der der Ukraine die nötigen Waffen zur Selbstverteidigung vorenthalten will. Da bin ich sehr gespannt, auch wenn sie ihrerseits durchaus unterschiedliche Akzente setzen.

Offenbar auch bei den Gottesdiensten.
Beim Schlussgottesdienst wurden die Predigenden sehr sorgfältig ausgewählt: Pavlo Shvarts steht für die Würde und den Freiheitswillen in der Ukraine. Die polnische Pfarrerin Marta Zachraj-Mikolaiczyk aus Wroclaw steht für die Gleichberechtigung der Frauen auch in der Kirche, weil Gott uns Menschen eben mit mindestens zwei Geschlechtern geschaffen hat. Beide sind unter 40. Das Abendmahl leitet Sandor Zan Fabian, mit besonders angefertigten Tonbechern aus Herrnhut. Das wird spirituell ein Riesenerlebnis.

Was sind Ihre persönlichen Highlights der Christlichen Begegnungstage?
Ich würde auch wahnsinnig gerne die vielen Konzerte erleben. Dazu wird meine Zeit nicht reichen. Aber die lange Tafel am Samstagabend um 18.30 Uhr in fünf Sprachen wird besonders. Nach der Karl-Barth-Preisverleihung an den ungarischen Theologen Sandor Fazakas lasse ich den Abend bei der Banda Communale auf der Hauptbühne ausklingen.

Mehr Infos auf der Website der Christlichen Begegnungstage