Mitgliederschwund und Kürzungen von Pfarrstellen sorgen dafür, dass sich auf viele Verantwortliche in der Kirche „ein Mehltau der Resignation legt“, sagt der Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes mit Sitz in Kassel, Steffen Kern, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dabei sollten trotz dieser Veränderungen Christen „Hoffnungsmenschen“ sein, und den Mut haben, trotzdem Neues zu beginnen, ist der Pfarrer der Evangelischen Landeskirche in Württemberg überzeugt.
epd: Herr Präses Kern, am 15. September haben Sie zusammen mit dem Evangelischen Medienhaus Stuttgart ein Podcastformat zum Thema Hoffnung gestartet, und vor Kurzem ist im SCM-Hänssler-Verlag (Holzgerlingen) Ihr Buch „Hoffnungsmensch“ erschienen. Was hat Sie dazu motiviert, sich so intensiv mit der „Hoffnung“ zu beschäftigen?
Kern: Die Welt braucht nichts mehr als Hoffnung. Kein Mensch kann leben, ohne die Hoffnung zu haben, am nächsten Tag aufzustehen oder etwas neu anzufangen und mein Anliegen ist, diese Haltung zu vermitteln. In meinem Podcast und in den Fernsehsendungen, die ab November auf Bibel TV ausgestrahlt werden, spreche ich mit Menschen, die mit der Hoffnung im Herzen etwas verändert haben, wie zum Beispiel der „Miss Germany“ Kira Geiss, dem Astrophysiker Heino Falcke, oder der Ärztin Gisela Schneider. Auch Kirchen und Gemeinden möchte ich sagen: Wir stehen nicht am Ende, sondern Gott beginnt mit uns täglich neu, und deshalb können auch wir heute neu anfangen.
epd: Sie haben die Kirchen angesprochen: Gibt es angesichts von Mitgliederrückgang, Skandalen und gesellschaftlichem Wandel tatsächlich Grund zur Hoffnung?
Kern: Ich nehme wahr, dass sich auf viele Verantwortliche in der Kirche ein Mehltau der Resignation legt, eine kollektive Depression, die wir haben. Es gibt die Kürzung von Pfarrstellen überall in Deutschland und diesen massiven Mitgliederschwund und man ist nur noch beschäftigt mit Rückbau und Abbau. ‘Wir werden immer kleiner, wir verlieren an Relevanz‘ – diese große Verzagtheit, die sich breitzumachen droht, ist ganz schwierig, wenn sie dann die Haltung von Gemeinden und auch Kirchenleitungen prägt.
Dabei haben wir Christen eine Hoffnung, die uns trägt, wir sind zuallererst eine Hoffnungsgemeinschaft – das ist das Wesentliche, das uns auszeichnet. Diese Entdeckung müssen wir wieder machen, dass wir nicht von unserer institutionellen Größe leben, sondern von dem Herzton unseres Glaubens. Dass Gott sein Reich baut und wir eine Hoffnung haben, die die Gesellschaft auch heute braucht.
epd: Vorher sprachen Sie davon, dass Hoffnungsmenschen auch den Mut haben, etwas Neues anzufangen. Warum gehört das für Sie zusammen?
Kern: Frei nach dem berühmten Zitat von Hermann Hesse würde ich sagen: ‘Jedem Anfang wohnt ein Glaube inne‘. Und diese Einstellung ist kein Zweckoptimismus, sondern fest verankert in unserem Glauben. Ich würde mir wünschen, dass Gremien und Kirchengemeinderäte diese Anfangsmentalität beherzigen und nicht nur darüber reden, wie man etwas zu Ende bringt oder weiter verwaltet, sondern dass auf die Agenda die Frage kommt: Was fangen wir an? Eigentlich sollte das in jeder Kirchengemeinderatssitzung Thema sein.
epd: Aber die meisten Kirchengemeinden sind doch mit ihren Angeboten schon jetzt überfordert, kann man sie dann dazu bringen, noch zusätzlich etwas Neues zu beginnen?
Kern: Wer etwas Neues anfangen will, muss etwas Altes loslassen. Du kannst nichts Neues anpacken, wenn du alle Hände voll hast. Bei vielen Gemeindeberatungen merke ich: Das Schwierigste ist immer das Loslassen, weil wir so eine Kultur haben immer noch mehr zu machen und dann scheitern wir, weil wir das alles nicht packen. Wer anfangen will, muss auch aufhören, es braucht Mut zum Aufhören, aber dazu sind wir durch manche Entwicklungen ein Stück weit auch gezwungen. Und dann mutig ein bisschen mehr loszulassen und neu zu beginnen, das halte ich für das Wesentliche.
epd: Was würde sich denn verändern, wenn Menschen wieder mehr Hoffnung haben?
Kern: Mit Sicherheit würden sie an Ausstrahlung gewinnen, und mein großer Wunsch ist, dass wir uns als Kirche vielmehr als eine Hoffnungsbewegung verstehen, nicht so sehr als starre, uralte Institution, sondern als das wandernde Gottesvolk, das in die Welt geht und sich diakonisch den Anliegen und Bedarfen der Menschen zuwendet und das Evangelium bezeugt und lebt. Diese Leichtigkeit zu gewinnen, darin könnte ein Geheimnis liegen und das ist mir und auch dem Gnadauer Verband, der größten freien Bewegung im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), ein Anliegen. (2209/17.09.2023)