Die Christdemokraten stellen sich programmatisch neu auf und wollen nach der Merkel-Ära wieder konservativer werden. Mit einem “Zurück in die Zukunft” bekräftigt die Partei zugleich ihren Regierungsanspruch.
Die CDU hat am Dienstagabend auf ihrem 36. Bundesparteitag in Berlin einstimmig ein neues Grundsatzprogramm verabschiedet. Es ist das vierte Programm in der Geschichte der Partei und steht unter dem Titel “In Freiheit leben. Deutschland sicher in die Zukunft führen”. In dem 70-seitigen Papier bekräftigt die CDU ihren Anspruch “die Volkspartei der Mitte” zu sein. Als Kompass gilt weiter das christliche Menschenbild. Abschließend votierten die Delegierten noch für die Aufnahme eines Gottesbezuges in das Programm. Nach den Worten von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann soll es ein “Leitbild” vermitteln, das den Einzelnen und nicht das Kollektiv in den Mittelpunkt stellt und Zuversicht gibt.
Zuvor hatten die 1.001 Delegierten teils leidenschaftlich über mehrere der 2.100 Änderungsanträge zum Programmentwurf debattiert. Die CDU hatte das Grundsatzprogramm in den vergangenen zwei Jahren mit Mitgliederbefragungen, Regionalkonferenzen und Fachsitzung erarbeitet. Nach der Wahlniederlage 2021 nehmen die Christdemokraten damit endgültig Abschied von der Ära Angela Merkel, vermeiden aber einen radikalen Bruch. Das Programm revidiert gleich mehrere Grundentscheidungen der ehemaligen Parteichefin und Kanzlerin: den Ausstieg aus Kernkraft und Wehrpflicht, die Willkommenskultur in der Asylpolitik. Die Christdemokraten positionieren sich wieder konservativer und bezeichnen sich erstmals ausdrücklich als bürgerlich. Der Begriff der Leitkultur wird nun konkret durchbuchstabiert.
Weltanschaulich will sich die CDU vom “libertären Individualismus” unterscheiden und grenzt sich von der Identitätspolitik ebenso ab wie von “sozialistischem, nationalistischem und völkischem Denken”. Letzteres in klarer Abgrenzung zur AfD. Das Programm fordert “mehr Mut zur Leitkultur”. Dies soll auch ein “gemeinsames Bewusstsein von Heimat und Zugehörigkeit” umfassen, ebenso Kultur, Sprache, Geschichte sowie ein “Bekenntnis zum Existenzrecht Israels”.
Das Papier betont den Wert der Religionen, bewertet sie aber unterschiedlich. Deutschland sei “ein christlich geprägtes Land”, heißt es. Die Kirchen werden als “wichtige Partner bei der Gestaltung unseres Gemeinwesens” genannt. Sie gelten als “Stabilitätsanker, die Menschen Orientierung geben”. Christliche Symbole sollen demnach öffentlich sichtbar, christliche Feiertage erhalten bleiben. Auch das Judentum wird als prägend für Kultur und Geschichte genannt.
Die Muslime werden als “Teil der religiösen Vielfalt” gewürdigt. Trotz der Kritik muslimischer Vertreter hielten die Delegierten aber an der Aussage fest: “Ein Islam, der unsere Werte nicht teilt und unsere freiheitliche Gesellschaft ablehnt, gehört nicht zu Deutschland.” Entsprechend wird nicht nur dem Islamismus, sondern auch dem politischen Islam eine Absage erteilt: “Die Scharia gehört nicht zu Deutschland.”
Erstmals nimmt das Bürgerliche als zweites Identitätsmerkmal im Programm breiten Raum ein. Damit will sich die CDU offenbar einer säkularen Wählerschaft öffnen. Die Familie wird von der Kernfamilie her gedacht, im Sinne eines “Leitbildes von Ehe und Familie”. Ausdrücklich bekennen sich die Christdemokraten zum Lebensschutz und wollen sich nicht “mit der hohen Zahl an Abtreibungen” abfinden.
Bei der Asylpolitik setzt die CDU auf einen Paradigmenwechsel. Demnach soll jeder Antragsteller in einen sicheren Drittstaat überführt werden, um dort das Verfahren zu durchlaufen und gegebenenfalls auch Schutz zu finden. Die Flüchtlingsbeauftragten der beiden großen Kirchen hatten dem Konzept vorgeworfen, dass es “in einem bemerkenswerten Widerspruch zur Orientierung an christlichen Werten” stehe. Auch ein Kompromissantrag, der die Gewährung von Asyl in Deutschland trotz Drittstaatenkonzept beibehalten sollte, fand keine Mehrheit.
Eine Akzentverschiebung findet sich auch in der CDU-Sozialpolitik, die stärker auf Eigenverantwortung setzt und das Bürgergeld weitgehend abschaffen will. Ferner tritt das Programm für ein “verpflichtendes Gesellschaftsjahr” ein. Auf Drängen der Jungen Union fand zudem die Forderung nach einer Wiedereinführung der Wehrpflicht Eingang in den Text. Dem Klimawandel will die CDU mit Technologie und Anreizen wie dem Emissionshandel entgegentreten. Zugleich bekennt sich das Programm zum Erhalt der Kernkraft.