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Bundesrepublik erhält vor 75 Jahren ihr erstes Führungspersonal

Der eine residierte in der Villa Hammerschmidt, der andere in der Nachbarschaft im Palais Schaumburg: Vor 75 Jahren besetzten Theodor Heuss und Konrad Adenauer die höchsten Staatsämter. Zwei sehr verschiedene Charaktere.

Sie sind die Gründungsväter der Bundesrepublik: Vor 75 Jahren übernahmen Konrad Adenauer und Theodor Heuss die höchsten Ämter des neuen westdeutschen Staates. Drei Tage, bevor Christdemokrat Adenauer zum ersten Bundeskanzler gewählt wurde, wurde der Liberale Theodor Heuss am 12. September 1949 zum ersten Bundespräsidenten gekürt. Dass die frühe Phase in der Geschichte der Bundesrepublik dennoch als “Arä Adenauer” in die Geschichtsbücher einging, hat mit dem unterschiedlichen Zuschnitt der Ämter, aber auch mit der Persönlichkeitsstruktur der beiden zu tun.

Unterschiedlicher hätten sie nicht sein können. “Heuss zieht dem Kampf das Nachdenken vor”, hat der französische Deutschlandkenner Alfred Grosser geschrieben. Der damals 65 Jahre alte Schwabe und Protestant Heuss war eher ein Intellektueller als ein Politiker. Ein milder Ersatzmonarch. Humor, Gutmütigkeit und Bescheidenheit charakterisierten seinen Stil; seine Reden bereitete er als Schriftsteller liebevoll vor. Als sein größtes Ziel definierte Heuss die “Entkrampfung der Deutschen”: Er warb für die Überbrückung der Fronten zwischen “rechts” und “links”, Alt-Nazis und Anti-Nazis, und nicht zuletzt auch für eine neue Unbefangenheit gegenüber Emigranten und Siegermächten. Dass er selber 1933 im Reichstag dem Ermächtigungsgesetz der Nazis zugestimmt und damit Hitlers Macht gesichert hatte, hat ihn sein Leben lang belastet.

Der 73-jährige Adenauer dagegen war der machtbewusste Politiker, der, mit allen Wassern gewaschen, bald als Demagoge und bald als humorvolle Vaterfigur auftrat. Obwohl in der Nazi-Zeit verfolgt, integrierte er Alt-Nazis und Mitläufer bewusst in den Staat.

Es gab Gemeinsamkeiten: die bürgerliche Herkunft, die äußere Gelassenheit sowie die Bewahrung ihres Dialekts, der zum Markenzeichen wurde. Wichtig waren auch die hausväterlichen Züge von “Papa Heuss” und dem “Alten aus Rhöndorf”. Sie konnten den Deutschen wieder Vertrauen in die Politik geben.

Von Anfang an war die Wahl der beiden Staatsmänner, die in Bonn in unmittelbarer Nachbarschaft in der Villa Hammerschmidt und im Palais Schaumburg residierten, miteinander verwoben. Adenauer, früherer Kölner Oberbürgermeister und schon als Präsident des Parlamentarischen Rates die Karriereleiter hinaufgeklettert, befürwortete eine “kleine Koalition” mit FDP und Deutscher Partei. Sein Angebot, Heuss zum Präsidenten wählen zu lassen, war ein saftiger Köder für die Liberalen.

Bedenken der Katholiken in den eigenen Reihen gegen den “Erzliberalen” und Kämpfer gegen die Konfessionsschule wischte Adenauer beiseite. Das gelang ihm um so besser, als die SPD mit ihrem Vorsitzenden Kurt Schumacher einen Kandidaten für die Präsidentenwahl nominierte, der in der Union nicht zustimmungsfähig war.

So wählte die Bundesversammlung am 12. September Heuss zum Staatsoberhaupt. Fünf Jahre später, bei der zweiten Bundespräsidentenwahl, hatte der Schwabe keinen Gegenkandidaten mehr: Er war “zu einer mit dem Amt verwachsenen, von jeder Partei unabhängigen Figur geworden”, schreibt Grosser. 1959 wurde ihm eine dritte Amtszeit angetragen, doch Heuss lehnte ab, weil eigens für ihn die Verfassung hätte geändert werden müssen.

Adenauer tat sich mit seinem Abschied von der Macht weit schwerer. Dass er 1949 zum Kanzler gewählt wurde, hatte er nicht zuletzt seinem hohen Alter zu verdanken. Viele hielten ihn für eine Übergangsfigur. Doch Adenauer ging selbstbewusst mit seinem Alter um und verwies – ähnlich wie Joe Biden vor wenigen Wochen – auf seinen großen Schatz an Erfahrungen, die vom Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zur NS-Zeit reichten.

Dass “der Alte” dann doch loslassen musste, hatte mit einigen Krisen in den letzten Regierungsjahren zu tun. 1959 kündigte er an, Bundespräsident und damit Nachfolger von Heuss werden zu wollen, zog dann aber seine Bewerbung schnell zurück. Bei der Bundestagswahl 1961 verlor die Union ihre absolute Mehrheit. Die FDP war nur zu einer Koalition bereit, wenn Adenauer sich zum Rücktritt verpflichtete. 1963 trat “der Alte” im Alter von 87 Jahren zurück.