An Büchern zu Hartz IV gibt es keinen Mangel: Wissenschaftliche Studien, kritische Abrechnungen, Ratgeber für Betroffene. Es gibt sogar ein eigenes Genre der Hartz-IV-Kochbücher, die den Armen zeigen, wie sie preisgünstig kochen können.
Selten hingegen sind Berichte von Menschen, die selbst von Hartz IV betroffen sind. In diese Lücke stößt das Buch von Bettina Kenter-Götte. „Heart‘s Fear“, also des Herzens Furcht, nennt sie mit einem Sprachspiel ihre „Geschichten von Armut und Ausgrenzung“.
In der „Schreckenskammer der Gesellschaft“
Es gehört zum strukturellen Charakter von Armut, dass die Armen als Objekte von anderen begutachtet, erforscht, dokumentiert und sanktioniert werden, sie selbst aber nicht in die Öffentlichkeit treten. Armut ist auf die Dauer deprimierend, kann ängstlich und einsam machen. Die harte Wirklichkeit von Hartz-IV-Beziehern kennt Sanktionen, die bis zum völligen Entzug von Leistungen durch das Jobcenter reichen können.
„Wer nicht betroffen ist, hat keinen Zugang zu dieser Schreckenskammer der Gesellschaft – und wer dort ist, verliert die Sprache“, schreibt Bettina Kenter-Götte über die Sprachlosigkeit der Armut.
Ihre eigene Geschichte ist die von beruflichen Erfolgen, dem Leben als alleinerziehende Mutter, von unsicheren Arbeitsverhältnissen und schließlich von Hartz IV. 1951 geboren und aufgewachsen in einer Theaterfamilie, in der Maximilian Schell und Inge Meysel ein und aus gingen, debütierte sie 1970 am Theater. Es folgten Gastspiele in Italien und auch eine Fernsehserie in Australien. Nichts deutete auf ein prekäres Leben hin. Doch 1981 bekommt die Schauspielerin eine Tochter und ist als alleinerziehende Mutter auf Sozialhilfe angewiesen.
Es ist noch die „alte“ Sozialhilfe, aber auch das Leben mit ihr war kein Zuckerschlecken. „Die Luft ist grau von kaltem Rauch, und grau sind die Gesichter der Menschen, die hier auch warten. Man sieht, sie haben schon bessere Tage gesehen. Meine Augen brennen; ich habe schon bessere Tage gesehen“, schreibt die Autorin über das Sozialamt München Mitte.
Das Leben geht weiter, Kenter-Götte erkämpft sich als Mutter ein neues Berufsfeld als Synchronsprecherin, spielt auch wieder Theater. Das geht 25 Jahre gut. Dann wird sie krank und kann nicht mehr arbeiten. Nach zwei Jahren sind die Ersparnisse aufgebraucht, und sie findet sich als Hartz-IV-Bezieherin und bei der „Tafel“ wieder.
Mit dem Tafelausweis „abgestempelt als unten“
Die Autorin beschreibt, was das Leben auf Hartz IV an Ausgrenzungen mit sich bringt, etwa beim Treffen mit Freundinnen im Restaurant, das sie beschreibt: „Ab und zu, während sie essen und plaudern, sieht eine mit einem kurzen Seitenblick auf dich und deine Tasse. Du hältst die Tasse, als wolltest du deine Finger wärmen, als gäbe es nichts Gemütlicheres, als eine halbleere Tasse mit zerfallenen Schaumresten zwischen den Handflächen zu drehen.“
Über ihre Erfahrung bei der „Tafel“ – „Restetische für die Armen“ – schreibt sie: „Und wie nett dann all die ehrenamtlichen HelferInnen auch zu dir sein mögen, mit dem Abstempeln des Tafelausweises wirst auch du abgestempelt; abgestempelt als unten. Nicht ganz unten: Unter dir, also wirklich ganz unten, gibt es noch die Obdachlosen; doch die bislang undenkbare Obdachlosigkeit rückt jetzt so nah, dass dich friert.“
Es war demütigend, hat einsam gemacht, wehgetan“
Bettina Kenter-Götte erklärt, warum sie ihre Erlebnisse zu einem Buch verarbeitet hat: „Es ist meine Pflicht als Bürgerin, den Mund aufzumachen.“ Sie fordert ein öffentliches Outing der „Armutsgeschändeten“, damit sichtbar werde, wie viele betroffen sind. Arme, das seien heute die am meisten diskriminierte Gruppe, darunter viele Frauen, Alleinerziehende, Künstler. Über die Hartz-IV-Reform sagt sie: „Das einzig erfolgreiche daran war die mediale Kampagne.“
Ihr Fazit: „Es hat wehgetan, Brot und Radieschen vom Restetisch holen zu müssen; es war demütigend, mich nicht mehr frei bewegen zu können und es hat einsam gemacht, nicht einmal mehr an den kollektiven saisonalen Rhythmen und Bräuchen teilhaben zu dürfen.“ Schreiben konnte Bettina Kenter-Götte ihr Buch auch deshalb, weil es ein Happy End gab. Seit 2015 ist sie verheiratet und bezieht heute Rente.
Bettina Kenter-Götte: Heart‘s Fear. Hartz IV – Geschichten von Armut und Ausgrenzung. Verlag Neuer Weg, 181 Seiten, zwölf Euro.