Eine Sommernacht in Rom im Jahr 1803. Von einem Palais nahe der Spanischen Treppe macht sich ein gespenstischer Trauerzug auf den Weg an den südlichen Stadtrand. Caroline und Wilhelm von Humboldt geleiten den Leichnam ihres siebenjährigen Sohnes Wilhelm zur Grabstätte. Er hatte sich während eines Ausflugs mit einer rätselhaften Krankheit infiziert und war kurz darauf gestorben. Humboldt ist seit einem Jahr preußischer Gesandter am Heiligen Stuhl. Weil er aber Protestant ist, müssen seine Frau und er – wie alle Protestanten bis zum Ende des Kirchenstaates 1870 – ihre Toten zu nächtlicher Stunde und bei Fackelschein bestatten. Der Sarg des geliebten Wilhelm wird in einer geschlossenen Droschke abtransportiert, wie es die Vorschrift ist. Ein Leichenzug von „Ketzern“ hätte die katholische Bevölkerung in Unruhe versetzen können. Die Eheleute werden den Weg 1807 noch einmal auf sich nehmen müssen. Da tragen sie den zehn Monate alten Gustav zu Grabe.
Beerdigungen waren nur in der Nacht erlaubt
Wohin aber bringen sie die Jungen, die auf keinem katholischen Friedhof eine Stätte finden? Der Weg führt eine weite Strecke hinaus – bis an die Mauer, die Kaiser Aurelian 271 erbauen ließ. Dorthin, wo vor langer Zeit schon einmal einer seine letzte Ruhe gesucht und diese dazu noch prächtig inszeniert hat: Der Prätor Gaius Cestius Epulo. Er ließ sich 18 bis 12 vor Christus eine 36 Meter hohe Pyramide als Grabstätte errichten, was gerade en vogue war. Damit hat sich der eher unbedeutende Beamte tatsächlich verewigt. Hier also, am Fuß der Cestius-Pyramide, finden auch Wilhelm und später Gustav von Humboldt ihren Ruheort. Und mit ihnen – bereits seit 1716 – viele nicht-katholische (italienisch: acattolicos) Menschen.
So erwuchs in 300 Jahren ein Ruhe- und Erinnerungsort für Denker und Dichter, Maler und Bildhauer, Schriftsteller, Ärzte und Gesandte. Hauptsächlich kamen sie aus Deutschland, Skandinavien und Großbritannien. Die Sonne des Südens übte schon damals eine große Faszination aus. Viele blieben bis an ihr Lebensende, andere wurden durch Krankheit oder auch Unfall vorzeitig aus dem Leben gerufen. Auch manche Hoffnung auf Heilung im milden mediterranen Klima erfüllt sich nicht. Ein Brite, dessen Grab zu den meistbesuchten des Friedhofs gehört, muss das bitter erleiden: John Keats, einer der bedeutendsten Lyriker der englischen Romantik. An Tuberkulose erkrankt, sucht der Poet im November 1820 in Rom Gesundung für sein Leiden. Doch das nasse Winterwetter in Rom bekommt ihm gar nicht gut. Sein Zustand verschlimmert sich und er stirbt im Februar 1821. Sein Sterbehaus im Zentrum Roms ist heute ein Museum.
So schön sich der Cimitero acattolico in seinen zwei Teilen heute präsentiert – einem alten, der 1822 im Streit mit dem Vatikan geschlossen wurde und einem neuen, auf dem bis heute Beerdigungen stattfin-
den –, er war über lange Zeit umstritten und in seiner Existenz gefährdet. Innerhalb der Stadtmauer gelegen, aber ländlich und eher einem ungeschützten Acker gleich, waren die Gräber dem Mutwillen der Bevölkerung ausgesetzt und wurden immer wieder geschändet. Meist begleitet Polizei die Leichenzüge, um die öffentliche Ordnung zu wahren. Zudem war es keine Toplage, die man für die Bestattungen angewiesen hatte. Weinkeller und Vergnügungslokale waren in der Nähe, mit allem was an Ausschweifungen dazugehört. So haftete den nächtlichen protestantischen Bestattungen in doppelter Hinsicht etwas „Zwielichtiges“ an.