Wahlen sind das Hochamt der Demokratie. Und Wahlprogramme sollten dabei helfen, dass die Wähler ihre vornehmste Pflicht gut erfüllen können. Sie sind allerdings offenbar für viele Bürger ziemlich unverständlich.
Bandwurmsätze mit bis zu 69 Wörtern (Bündnis Sahra Wagenknecht). Wortungetüme wie “Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz” (FDP) und Fachbegriffe wie “Small Modular Reactors” (CDU/CSU), “Quick-Freeze” (Grüne) oder “Catcalling”: Die Wahlprogramme der Parteien zur Bundestagswahl sind zwar etwas kürzer und etwas verständlicher als ihre Vorgänger 2021. Sie blieben aber nach wie vor nur schwer verständlich. Zu diesem Urteil kommt der Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider in einer Auswertung der Universität Hohenheim.
“Damit die Wählerinnen und Wähler eine begründete Wahlentscheidung treffen können, sollten Parteien ihre Positionen klar und verständlich darstellen”, sagt Brettschneider. “Oft lässt die Verständlichkeit der Wahlprogramme zu wünschen übrig”, sagt der Kommunikationswissenschaftler. “2021 waren die Programme aber im Schnitt noch unverständlicher”.
Mit Hilfe einer Analyse-Software fahnden die Wissenschaftler um Brettschneider unter anderem nach überlangen Sätzen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und zusammengesetzten Wörtern. Anhand dieser Merkmale bildeten sie den “Hohenheimer Verständlichkeitsindex”, der von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) reicht.
Ein Ergebnis: Die Wahlprogramme sind etwas kürzer als 2021: durchschnittlich 25.544 Wörter pro Programm. Bei der ersten Bundestagswahl 1949 waren es noch im Schnitt 5.496 Wörter. Allerdings gibt es große Unterschiede zwischen den Parteien. Traditionell haben die Grünen das längste Wahlprogramm. So auch in diesem Jahr: Mit 30.693 Wörtern ist ihr Text gut dreitausend Wörter länger als das Programm der SPD. Die kürzesten Programme haben in diesem Jahr das Bündnis Sahra Wagenknecht und die FDP vorgelegt: 17.011 beziehungsweise 19.466 Wörter.
Das formal verständlichste Wahlprogramm liefert die CDU/CSU mit 10,5 Punkten auf dem Hohenheimer Verständlichkeitsindex. Den letzten Platz belegt die AfD mit 5,1 Punkten. Auf dem vorletzten Platz liegt das Programm des Bündnis Sahra Wagenknecht mit 6,6 Punkten.
Die Wahlprogramme 2025 erreichen im Schnitt 7,3 Punkte. 2021 lag der Schnitt bei 5,6 Punkten. Brettschneider ist trotz der leichten Verbesserung enttäuscht. “Denn alle Parteien haben sich in den letzten Jahren Transparenz und Bürgernähe auf ihre Fahne geschrieben. Mit ihren teilweise schwer verdaulichen Wahlprogrammen schließen sie jedoch einen erheblichen Teil der Wählerinnen und Wähler aus und verpassen damit eine kommunikative Chance.”
“Alle Parteien könnten verständlicher formulieren”, zeigt sich Brettschneider überzeugt. “Das beweisen gelungene Passagen in den Einleitungen und im Schlussteil.” Die Themenkapitel seien hingegen das Ergebnis innerparteilicher Expertenrunden. “Diesen ist meist gar nicht bewusst, dass die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler ihren Fachjargon nicht versteht. Wir nennen das den ‘Fluch des Wissens'”.
Verständlichkeits-Forscherin Claudia Thoms kritisiert, dass Fremdwörter und Fachwörter, zusammengesetzte Wörter und Nominalisierungen, Anglizismen sowie lange Sätze und Schachtelsätze die häufigsten Verstöße gegen Verständlichkeits-Regeln sind. Darüber hinaus erschwerten lange, zusammengesetzte Wörter die Lesbarkeit der Wahlprogramme: “Quellen-Telekommunikationsüberwachung” (CDU/CSU), “Telekommunikationsnetzausbaubeschleunigungsgesetz” (FDP), “Wirtschaftspartnerschaftsabkommen” (Linke). “Wir haben in allen Wahlprogrammen solche Satz-Ungetüme mit teilweise mehr als 40 Wörtern gefunden”, bedauert Thoms.