Donald Trump ist wieder zum US-Präsidenten gewählt worden. Viele Deutsche macht das depressiv – dabei ist das Ergebnis auch eine Chance, politisch erwachsen zu werden, meint der Autor und Psychiater Manfred Lütz.
Aus Sicht des Bestsellerautors und Psychiaters Manfred Lütz bedeutet die erneute Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten das definitive Ende einer “fast kindlichen Idealisierung Amerikas” in Deutschland. “Wir konnten uns hier lange Zeit alle denkbaren politischen Kindereien erlauben, weil wir wussten: Papi in Amerika wird es schon richten – doch das ist vorbei”, sagte Lütz am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Es gebe jetzt einen “klaren Flash” auf die Eigenverantwortung Europas.
Zugleich warnte Lütz davor, Trump mit diagnostischen Begriffen zu belegen. “Trump ist jemand, der rücksichtslos ist und egozentrisch, ein Machtmensch, aber er leidet nicht unter einer narzisstischen Störung.” Damit würde man ihn vermutlich sogar verharmlosen, so Lütz. “Denn dann wäre das Problem mit einer Therapie gelöst.” Sicher wisse man nur, dass Trump unberechenbar sei. “Wir wissen aber nicht, was jetzt unter seiner Präsidentschaft passieren kann: Wird er Rache nehmen für die verlorene Wahl vor vier Jahren oder lieber Golf spielen anstatt zu regieren?” Alles sei offen.
Die Deutschen warnte Lütz davor, sich nun in “eine Art Depression hineinzuanalysieren” und sich immer passiver und hilfloser gegenüber dem “großen Bruder in Amerika” zu fühlen. Stattdessen sollten sie sich fragen: “Was kann man selbst machen? Was ist das Gute am Schlechten?”
Aus Sicht von Lütz trifft die deutsche Regierung die Wahl Trumps aber ähnlich unvorbereitet wie der Angriff Russlands auf die Ukraine. “Atmosphärisch hat man sich ganz auf die Demokraten mit Biden und Harris konzentriert, damit wird man Trumps Vorurteile gegenüber der Bundesrepublik nicht mindern.” Anstatt Trump zum Monster zu stilisieren, müsse man mit ihm reden – ohne zu viel zu moralisieren.
“Ich glaube, dass wir in den vergangenen Jahren eine Ersetzung von Politik durch Moral erlebt haben. Außerdem eine Ersetzung von Religion durch Moral.” Moral führe aber schnell zu einer Schwarz-Weiß-Sicht, entweder sei etwas gut oder böse. Man selbst sei dann gut, und der andere absolut böse. Das führe zu Spaltungen. “Diese Form von Diskurs gefährdet die Demokratie, weil die Demokratie verlangt, dass man mit Menschen anderer Meinung verständig, wertschätzend und respektvoll redet”, erklärte Lütz. Der Schlüsselsatz, um Spaltungen zu überwinden, sei der Satz Jesu: “Liebet eure Feinde, tuet Gutes denen, die euch hassen”. Noch nie sei dieser Satz so wertvoll gewesen wie heute.