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„Auslandseinsätze sind nötig“

Der evangelische Militärbischof Sigurd Rink äußert sich über Materialprobleme, das Bild in der Öffentlichkeit und in der Kirche, Bündnisverpflichtungen und Schutzverantwortung

Juergen Blume

Die Bundeswehr kommt nicht aus den Schlagzeilen: Ende Februar war nicht ein einziges U-Boot einsatzbereit und fast die Hälfte der Kampfpanzer stand in den Werkstätten. Und über Ostern demonstrierten wieder Ostermarschierer bundesweit in über 30 Städten gegen Auslandseinsätze und Rüstungsgeschäfte. Wie gehen die Soldatinnen und Soldaten damit um? Benjamin Lassiwe sprach darüber mit dem obersten evangelischen Militärseelsorger, Militärbischof Sigurd Rink.

Militärbischof Rink, an Ostern wurde in Deutschlands Städten auch in diesem Jahr gegen die Auslandseinsätze der Bundeswehr demonstriert. Wie sieht das der Militärbischof?
Ich habe inzwischen fast alle 15 Auslandseinsätze besucht. Sie sind sehr unterschiedlicher Natur. Acht Einsätze sind klassische Einsätze unter dem Mandat der Vereinten Nationen. Da passiert eine Menge zur Friedenserhaltung. Das bekommt man oft gar nicht mit, etwa in Israel, wo Blauhelme die Grenze zum Libanon bewachen. Und man ist sehr unterwegs in den „Failing States“ (Als „gescheitert“ gelten Staaten, die ihre grundlegenden Funktionen nicht mehr erfüllen können – Anmerkung der Redaktion), in Afghanistan, in Mali und im Irak, wo Soldaten und Politiker sich dafür einsetzen, dass Menschen wieder in geordneten Verhältnissen und Frieden leben können. Auch das ist zeichenhaft neues Leben.

Das heißt, Sie halten die Auslandseinsätze für nötig?
Dass die Bundesrepublik sich im Rahmen der Vereinten Nationen mit einem entsprechenden Mandat an Auslandseinsätzen beteiligt, so wie andere europäische Staaten auch, halte ich für geboten.

Ist die Bundeswehr personell und materiell noch in der Lage, ihren Verpflichtungen im Ausland nachzukommen?
Man muss sagen, dass die Auslandseinsätze heute längst nicht mehr so groß sind, wie vor einigen Jahren. Es sind in allen Einsätzen zusammen fast 4000 Soldaten beteiligt. Und schon Verteidigungsminister Thomas de Maizière hat es angestrebt, die Armee strukturell in Richtung einer Einsatzarmee fortzuentwickeln. Das ist weitgehend gelungen.

Gleichzeitig gibt es aber auch jede Menge Berichte über kaputtes und fehlendes Material…
Es ist so, dass in der Zeit nach 1990 die Bundeswehr in einer Fülle von Reformen oft nur noch Abbauprozesse gestaltet hat. Von den vormals etwa 500 000 Soldaten in der Bundeswehr, die es einstmals gab, gibt es heute noch knapp 179 000. Da wird seit 2014 erheblich gegengesteuert. Ministerin Ursula von der Leyen hat das Thema Trendwende Personal und Ausrüstung aufgerufen. Mein Eindruck ist, dass sich die Institution Bundeswehr erst einmal stabilisieren muss. Und das ist allerdings bitter nötig.

Was sagen Ihnen die Soldaten über das Material, mit dem sie in die Einsätze ziehen?
Ich höre Unterschiedliches. In der Regel ist an der Ausrüstung selbst kein großes Beschwer. Man fühlt sich ganz gut ausgerüstet für die Einsätze. Das Thema Ausrüstung kommt eher an einer anderen Stelle zu Tage: Seit der Ukraine-Krise ist das Thema Landes- und Bündnisverteidigung wieder akut geworden. Und da merkt man natürlich: Wenn man in der Ostsee oder in Litauen oder Lettland eine echte Präsenz zeigen will, müsste die Bundeswehr schon anders ausgerüstet sein.

Was heißt das konkret?
Soldatinnen und Soldaten brauchen das Material, das sie für die Einsätze und die Landes- und Bündnisverteidigung vorhalten müssen. Es gibt nichts Frustrierenderes, als wenn man hervorragend ausgebildete Leute hat, und es mangelt dann an den Trainingsfähigkeiten, weil die Technik nicht vorhanden ist. Die Unterrichtung des Wehrbeauftragten, die eine sehr klare Sprache spricht, muss man ernst nehmen, und dafür sorgen, dass die Soldaten ihrer Aufgabe nachkommen können. Beim Wohl der Soldaten sehe ich mich auch in der Verantwortung.

Wie erklären Sie das der Friedensbewegung in den eigenen Reihen der Kirche, wo es ja ei­­nige gibt, die am liebsten gar keine Bundeswehr sehen würden?
Genau das ist eine Schlüsselfrage: Stellt man sich vom Prinzip her hinter die Institution Bundeswehr als eine wichtige Institution dieses Landes? Die Kirche hat das mit der EKD-Friedensdenkschrift 2007 getan. Und schon Martin Luther hat in seiner „Kriegsleuteschrift“ den Soldaten eine Schutzverantwortung für andere aufgetragen und das Recht auf Verteidigung zugebilligt. Und wenn das so ist, dann muss man auch dafür eintreten, dass die Menschen, die das für uns machen, die nötige und funktionierende Ausrüstung für ihre Aufgaben haben.

Braucht es denn heute noch Landesverteidigung? Wir sind ja von Freunden umgeben…
Heute spielen Bündnisverpflichtungen eine größere Rolle. Im Rahmen der EU und der NATO hat Deutschland die Pflicht, sich zu verteidigen – aber eben auch die Pflicht, für andere einzustehen. Und wenn Sie sich dann die kleinen baltischen Staaten anschauen, dann sehen Sie, dass das Thema der Bündnisverpflichtung für diese Länder alles andere als akademisch ist. Litauen, Lettland und Estland wollen spüren, dass sie sich im Notfall auf die NATO verlassen können.