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Auf den Spuren jüdischer Musik aus den 1930er Jahren

“Ich tanz, aber mein Herz weint” ist eine Doku über jüdische Unterhaltungsmusik aus den 1930er Jahren, die auf wundersamen Wegen der Zerstörung durch die Nazis entgangen ist.

Die Lieder heißen “Die Welt ist klein geworden”, “Kaddish (Der jüdische Soldat)”, “Leybke furt Amerika”, “Vorbei” – oder wie der Titel des Films von Christoph Weinert “Ich tanz, aber mein Herz weint”. Die Songs erzählen von Tanz und Geselligkeit, von Liebe, Eifersucht und einer bangen Ahnung. Oder von jüdischen Männern, die in den Krieg ziehen. Und von deren Frauen, die zuhause mit ihren Kindern auf ihre Rückkehr oder zumindest eine Nachricht warten. Sie erzählen auch von der einstmals großen und weiten Welt, die plötzlich klein wie ein Fußball zu sein scheint, und von Amerika als dem Auswanderungsziel, das vielleicht nicht erreicht wird.

Banges Warten klingt in diesen Liedern an, eine tiefe Sehnsucht und in den Melodien nicht selten auch eine tiefe Melancholie. Eine dumpfe Ahnung vom Kommenden, das nichts Gutes verspricht. Geschrieben, komponiert, gespielt und in Berlin auf Schellack aufgezeichnet wurden die Stücke, bevor sich in den Novemberpogromen von 1938 die dumpfe Ahnung schlagartig in Schrecken und Grauen verwandelte.

Die Komponisten heißen, sofern sie bekannt sind, Otto Stransky, Curt Bry, Josef Rosenblatt; die original in Jiddisch und Hebräisch verfassten Texte stammen unter anderen von Nathan Alterman, Kurt Robitschek und Zalman Shneur. Interpretiert und musikalisch begleitet werden sie in den damaligen Aufnahmen von Dora Gerson, Pinkas Lavender, Esther und Jakob Moschkowitz, Max Janowski, Kurt Sanderling, Willy Rosen und Andreas Weißgerber.

Von diesem Musik- und Liedgut, das über sieben Jahrzehnte als verloren galt, handelt der Film. Von den 1920er und vor allem von den frühen 1930er Jahren, in denen die jüdische Musik eine Blütezeit erlebte und sich in Deutschland großer Beliebtheit erfreute. Die von Hirsch Lewin und Moritz Lewin in Berlin geführten Plattenlabel “Semer” und “Lukraphon” existierten selbst dann noch weiter, als die Nazis die Macht bereits an sich gerissen hatten.

Wie in dem von Weinert gefertigten Film erläutert wird, wurde dieses Weiterbestehen durch die Olympischen Spiele 1936 begünstigt. Schon im Sommer 1933 erklärte die NS-Regierung die Olympischen Spiele offen für Personen jeder “Rasse und Konfession”. Um an Prestige zu gewinnen und die Westmächte zu besänftigen, sah man bis nach den Olympischen Spielen im Kulturbereich von antijüdischen Aktionen ab.

So kam es, dass “Semer” und “Lukraphon” in Berlin bis 1938 weiterhin Stücke von jüdischen Künstlern und Künstlerinnen aufzeichneten, während im restlichen Deutschland Musikaufnahmen von Juden schon verboten waren. Moritz Lewin löste die “Lukraphon” im Laufe des Jahres 1938 auf und emigriert über Italien in die USA. Hirsch Lewins “Hebräische Buchhandlung” im Scheunenviertel wurde hingegen zusammen mit dem rund 4.500 Platten, Noten, Texten und Originalmatrizen umfassenden Lager im November 1938 zerstört. Obwohl (jüdische) Emigranten, die Deutschland rechtzeitig verlassen hatten, unter anderem auch Schellack-Platten und Noten mitnahmen, galt der musikalische Schatz sieben Jahrzehnte lang als verschollen.

Hier setzt der andere Erzählstrang des Films an. Er nimmt den Faden mit dem Plattensammler und Jazz-Historiker E. Rainer Lotz auf, der ab 1992 intensiv versuchte, die über die Welt verstreuten “Semer”-Aufnahmen zu sammeln, was ihm zu großen Teilen auch gelang. Danach fügt sich eines zum anderen. 2011 erschienen die alten Aufnahmen als neue Box mit elf CDs und einer DVD. Und ein Jahr später beauftragt das Jüdische Museum Berlin den Komponisten Alan Bern, die alten Aufnahmen neu einzuspielen. Das führte zur Gründung der heute unter dem Namen Semer Ensemble bekannten Musikgruppe.

Konzertaufnahmen des Semer Ensembles stehen denn auch im Zentrum des Films. Weinert lässt den einzelnen Stücken viel Raum, um sich zu entwickeln und ihre Wirkung zu entfalten. Bern, der das Ensemble nicht nur dirigiert, sondern selbst auch am Flügel oder mit dem Akkordeon spielt, betont, dass er damit nicht “eine Epoche abschließen, sondern eine Tür in eine frühere Zeit aufstoßen” wolle. Man dürfe zudem nie vergessen, dass diese Lieder und Stücke aus einer Zeit stammten, in der die Menschen den Schrecken des Zweiten Weltkrieges und Holocausts noch nicht erfahren hätten.

Weinert lässt Sammler und Historiker zu Wort kommen und von ihren Erfahrungen und aus der Geschichte erzählen. Er gibt zudem auch den aus aller Welt stammenden Mitgliedern des Semer Ensembles das Wort, damit sie ihren persönlichen Zugang zu dieser Musik und den Liedern, deren Sprache sie oft nicht mehr sprechen, erklären können.

Es ist ein souveräner Film, der die Erzählungen und (zeitlichen) Ebenen glänzend zusammenbringt und hör- und sichtbar macht, wie jüdische und nichtjüdische Kultur vor dem Zweiten Weltkrieg sich unmittelbar durchdrungen haben. Sofern vorhanden, illustriert der Film die Erzählungen historischer Ereignisse mit animierten historischen Fotografien. Er ist stimmungsvoll, berührend und reich an Informationen. Vielleicht sogar etwas zu informativ. Denn während der Musik viel Platz eingeräumt wird, fallen manche Erzählungen oft etwas kurz aus. Für Zuschauer mit entsprechendem Vorwissen mag vieles assoziativ zu erschließen sein. Andere aber könnten sich etwas überfordert oder ausgeschlossen fühlen.