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Asya Aldiri – Eine Stimme für geflüchtete Frauen

Asya Aldiri floh mit ihren Kindern aus Syrien und kämpfte sich durch Jahre voller Angst, Unsicherheit und Flucht. Heute ist sie eine starke Stimme für geflüchtete Frauen in Berlin.

Asya Aldiri engagiert sich ehrenamtlich für Integration und Chancengleichheit in Berlin
Asya Aldiri engagiert sich ehrenamtlich für Integration und Chancengleichheit in BerlinStephanus-Stiftung

Meine Geschichte beginnt nicht mit einer freien Entscheidung, sondern mit einem Schock. Am 3. November 2011 wurde mein Leben innerhalb weniger Stunden zerstört. Assad-Milizen verhaften meinen Mann und zündeten unser Haus an. Ich musste Hals über Kopf mein Heimatdorf verlassen – mit nichts außer zwei kleinen Kindern, Angst im Herzen und einem brennenden Schmerz, der nie ganz vergeht. Von diesem Moment an war ich allein: als eine Frau in einer Gesellschaft, die Frauen, besonders alleinstehende Frauen, selten mit Respekt behandelt. Ich war plötzlich nicht nur Mutter, sondern Vater, Beschützerin, Versorgerin in einem Land, das keine Gnade kannte für diejenigen, die nicht gehorchten.

Ich floh nach Damaskus. Aber auch dort war ich nie sicher. Als Ehefrau eines politischen Gefangenen stand ich ständig unter Beobachtung. Ich lebte jahrelang in Unsicherheit – zwischen Verstecken, ständiger Angst und der Verantwortung, meine Kinder zu schützen. Als mein Mann 2014 endlich aus dem Gefängnis kam und direkt in die Türkei fliehen musste, wusste ich, dass ich in Syrien nicht mehr leben kann. Ich war als Frau, als Mutter, als Mensch nicht mehr sicher.

In der Türkei kam ich in ein Lager. Nicht in eine Unterkunft, sondern in ein Zelt. Kälte, Hunger, Angst – sie wurden mein Alltag. Ich war plötzlich Flüchtling, ohne Rechte, ohne Schutz, ohne Stimme. Das Lager wurde von Al-Nusra-Milizen kontrolliert. Für uns Frauen bedeutete das: Gehorsam, Verschleierung, Schweigen. Aber ich bin eine Frau, die immer an Freiheit geglaubt hat. Und obwohl ich diese Freiheit nie wirklich hatte, habe ich dafür gekämpft, mit jeder Faser meines Körpers, mit jedem Gedanken. Ich kämpfte für meine Würde, für meine Töchter, für ein kleines Stück Licht in der Dunkelheit. Ich war allein unter vielen, aber innerlich habe ich nie aufgegeben. Ich habe beobachtet, gefragt, widersprochen, auch wenn das gefährlich war. Ich habe in einem Umfeld überlebt, das für eine alleinstehende Frau lebensgefährlich war. Und doch bin ich geblieben, aufrecht, kämpfend – wie eine Löwin.

Vier Jahre Flucht – und ein Neuanfang in Deutschland

>Meine Flucht hat vier Jahre gedauert. Vier Jahre ohne Zuhause, ohne Sicherheit, mit immer neuen Wegen, immer neuen Grenzen, immer neuen Gefahren. Ich bin mit meinen Töchtern in einem Schlauchboot übers Meer geflohen, zusammen mit 50 Menschen. Unser erster Versuch scheiterte fast tödlich. Das Boot kenterte beinahe. Ich sah meine Kinder fast ertrinken. Ich dachte, es ist vorbei. Aber ich habe sie gehalten, festgehalten – mit all meiner Kraft, mit all meiner Liebe und wir haben überlebt. Erst am 12. Dezember 2016 bekam ich in Deutschland zum ersten Mal wieder eine Wohnung, nach sechs Jahren ohne ein Zuhause. Aber die Flucht war nicht vorbei, als ich ankam. In Deutschland begannen neue Kämpfe: mit der Sprache, mit Behörden, mit Vorurteilen. Viele Menschen sahen nicht meine Geschichte, nicht mein Leid – sie sahen nur mein „Fremdsein“. Ich wurde angeschaut, beurteilt, übergangen. Doch ich habe wieder geredet und gefragt: „Warum?“ Und ich spreche bis heute, weil ich glaube, dass nur der Dialog Mauern abbauen kann.

Ich war nie schwach, auch wenn ich oft am Boden war. Ich habe gelernt, dass wahre Stärke leise sein kann und, dass Hoffnung lauter ist als Angst. Ich habe mir ein Leben in Sicherheit gewünscht. Ein Leben ohne Angst, ohne Bomben, ohne Kontrolle. Ich wollte nur eines: meine Kinder beschützen und ihnen eine Zukunft geben. Ich hoffte auf Frieden, Bildung und Freiheit. Die ersten Monate in Deutschland waren nicht leicht. Ich fühlte mich fremd, oft nicht verstanden. Ich dachte, ich hätte das Schlimmste hinter mir – aber der Weg des Ankommens war ein neuer Kampf. Doch Schritt für Schritt fand ich Halt. Ich lernte Deutsch, suchte Kontakt, engagierte mich. Heute habe ich ein Netzwerk, ein Zuhause und das Gefühl, dass meine Stimme zählt.

Die Sprache war am Anfang die größte Hürde. Ich wollte verstehen und verstanden werden, aber es war schwer. Auch die Unsicherheit – immer neue Formulare, Termine, Ablehnungen – haben mich müde gemacht. Und dann war da dieses Gefühl: Viele Menschen sahen nur eine „Geflüchtete“. Nicht die Frau, nicht die Mutter, nicht die Kämpferin in mir. Aber ich habe nicht geschwiegen. Ich habe immer wieder geredet, nachgefragt, erklärt. Ich habe gelernt, dass ich mein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss – auch hier. Und ich habe mir gesagt: Wenn ich überlebt habe, was hinter mir liegt, dann schaffe ich auch das.

Hilfe, Erinnerungen und neue Stärke

Es gab Menschen, die mir geholfen haben. Ich werde sie nie vergessen. Menschen, die mir zugehört haben, ohne mich zu verurteilen. Die mir Mut gemacht haben, statt Angst: Sozialarbeiterinnen, Nachbarinnen, andere Frauen, die selbst Flucht erlebt haben. Sie haben mir gezeigt: Ich bin nicht allein. Ich erinnere mich an mein Dorf in Syrien. An die Olivenbäume, die warmen Abende, die Stimmen der Nachbarn. Ich erinnere mich an das Lachen meiner Kinder, bevor der Krieg kam. Und an meine Mutter, an das Gefühl von Zuhause, das so einfach war und doch so kostbar. Diese Erinnerungen tragen Schmerz, aber auch Wärme. Ich bin nicht mehr dieselbe Frau wie vor dem Krieg. Die Flucht hat mir gezeigt, wie zerbrechlich alles ist – und wie stark ich sein kann. Ich denke heute viel tiefer über Freiheit, Gerechtigkeit, Würde. Ich bin wachsamer, mutiger, aber auch verletzlicher. Ich weiß, wie wertvoll das Leben ist, weil ich es fast verloren hätte.

Ich hatte nichts Materielles, was ich retten konnte. Aber ich hatte meinen inneren Kompass: den Glauben an meine Würde, an meine Rolle als Mutter, an meine Verantwortung. Ich habe auch meine Fähigkeit behalten, Fragen zu stellen, zu denken, zu fühlen. Das hat mich am Leben gehalten. Ich hoffe, dass meine Töchter sehen, was eine Frau schaffen kann. Dass sie stolz sind auf ihren Weg, auf unsere Geschichte. Ich hoffe, dass andere Frauen erkennen: Du bist nicht weniger wert, weil du Frau bist, weil du allein bist, weil du geflohen bist. Du bist stark – und deine Stimme zählt. Ich will Mut machen, nicht Mitleid wecken.

Eine Botschaft an geflüchtete Frauen

Ich unterstütze heute selbst geflüchtete Frauen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, am Boden zu sein. Weil ich erlebt habe, wie ein kleines Wort oder eine ausgestreckte Hand Leben retten kann. Ich will, dass andere nicht den gleichen Schmerz durchmachen müssen. In weniger als einem Jahr habe ich es geschafft, 50 Frauen in den Arbeitsmarkt zu bringen, weil ich an sie geglaubt habe, und weil ich sie gesehen habe. Ich helfe, weil ich kann und weil ich muss. Diese Menschen brauchen Vertrauen, Räume, wo sie sie selbst sein dürfen. Zugang zu Sprache, zu Bildung, zu Arbeit, aber auch zu echten Begegnungen. In vielen Unterkünften fehlt nicht nur Information, sondern Verbindung. Die Behörden brauchen mehr Wissen, mehr Herz, mehr Bereitschaft, Geschichten zu hören, nicht nur Akten zu lesen.

Ich möchte denen, die gerade erst in Deutschland ankommen, sagen: Du bist nicht schwach. Du bist nicht allein. Auch wenn es sich so anfühlt. Rede, suche Hilfe, glaube an dich. Du darfst traurig sein – aber du darfst nie aufgeben. Dein Weg ist schwer, aber du wirst ihn gehen. Und irgendwann wirst du nicht nur ankommen – du wirst anderen den Weg zeigen.

Das Gesprächsprotokoll verfasste Franziska Limmer-Giwa, Referentin bei der Stephanus-Stiftung Berlin.