Jesus als Rockstar in Hippie-Ästhetik oder als sexuelles Wesen? Viele filmische Adaptionen der Bibel stießen auf viel Kritik. Eine Arte-Doku geht der Geschichte der Kinodarstellungen biblischer Motive auf den Grund.
In Zusammenarbeit mit filmdienst.de und der Katholischen Filmkommission gibt die KNA Tipps zu besonderen TV-Filmen:
Mit dem Aufkommen des Films geriet die Deutung des Bildes von Jesus gänzlich aus der Kontrolle der Kirche. Die bewegten Bilder erweckten den Mann aus Nazareth und die Passionsgeschichte auf ganz neue Weise zum Leben. Jesus wurde darin zu einem Star in Hollywood. Viele dieser Anverwandlungen provozierten heftige Skandale, wenn man etwa an die Aufregungen um “Die letzte Versuchung Christi” von Martin Scorsese oder Mel Gibsons “Die Passion Christi” denkt.
Die Vorstellungen über den historischen Jesus werden heute meist durch Verfilmungen seiner Lebens- und Leidensgeschichte geprägt. Jesus von Nazareth war einer der allerersten Filmhelden überhaupt. So unterschiedliche Regisseure wie Pier Paolo Pasolini, Martin Scorsese oder Mel Gibson haben ihn vor der Kamera in einen Menschen aus Fleisch und Blut verwandelt. Wahrscheinlich ist keine Biografie so oft verfilmt worden wie die von Jesus.
Die Dokumentation “Jesus Goes To Hollywood” von Norbert Buse geht der Frage nach, inwieweit nicht schon immer kulturelle und gesellschaftliche Einflüsse das filmische Bild des Wanderpredigers aus Nazareth geprägt haben. Und ob das Kino sich je von der Idee des Göttlichen in Jesus befreien wollte.
Für Martin Scorsese stand das nie zur Debatte: “Der Jesus in meinem Film ist ein Mann, der kämpft, dessen menschliche Natur mit der göttlichen Natur ringt. Am Ende akzeptiert er seine Rolle, indem er den Willen Gottes annimmt.” Und Mel Gibson: “Es geht um Glauben, Hoffnung, Liebe und Vergebung. Das ist die Realität für mich. Ich glaube daran. Ich muss daran glauben.”
Trotz aller Kontroversen scheint das Kino bei seinen Adaptionen der Jesus-Geschichte selten bis nie eine neue Interpretation der Jesus-Geschichte jenseits kirchlicher Dogmen im Sinn gehabt zu haben.
Eigentlich heißt es ja in den Zehn Geboten: “Du sollst dir kein Bildnis machen…” Bilder gab es aber schon sehr früh. Bereits das Turiner Grabtuch könnte man als eine Art “Standbild” von Jesus interpretieren. Allerdings wurde die Art und Weise, wie Menschen sich den Sohn Gottes vorzustellen hatten, über Jahrhunderte hinweg von der Kirche kontrolliert. Das änderte sich mit den modernen Massenmedien. Als die Bilder laufen lernten, bedienten sich Filmemacher regelmäßig bei biblischen Stoffen. Verlor die Kirche dadurch “ihr Deutungsmonopol über die Darstellung Jesu”?
Diese These formuliert der preisgekrönte Filmemacher Norbert Buse in seiner Doku “Jesus goes to Hollywood”. Er fragt nach den Inspirationsquellen für ikonisch gewordene Jesus-Darstellungen, vorwiegend im Hollywood-Kino. Der Blick zurück auf die Anfänge des Films offenbart eine überraschende Wechselwirkung, galt doch das neue Medium zunächst als schmuddeliges Jahrmarktvergnügen. Der Rückgriff auf biblische Stoffe besserte den Ruf des Kinos in diesen Anfangszeiten auf. Mehr noch: Als durch das Aufkommen des Fernsehens nach dem Zweiten Weltkrieg die Kino-Zuschauer mehr und mehr ausblieben, half der Monumentalfilm “Ben Hur” 1959 dem US-Kino zunächst noch einmal aus der großen Krise.
Das spektakuläre Wagenrennen in “Ben Hur” hat wohl jeder Filmliebhaber im Kopf. Doch welches Christusbild vermittelte der bis dato teuerste Film aller Zeiten? Dabei interessiert die durchaus vorhandene Spiritualität populärer Jesus-Darstellungen den Filmautor eher am Rande. Er konzentriert sich mehr auf Äußerlichkeiten, also die einzelnen visuellen Bausteine der filmischen Erscheinung des Wanderpredigers aus Nazareth.
Breiten Raum nimmt daher jener berühmte Drehort im italienischen Matera ein, der seit Pasolinis “Das 1. Evangelium – Matthäus” von 1964 zu einer buchstäblichen Bibel-Bühne wurde, auf der zahlreiche weitere Verfilmungen der Passionsgeschichte entstanden. Neben dieser archaischen Kulisse, die wie ein zweites Bethlehem anmutet, porträtiert die Dokumentation die in Rom ansässige Schneiderei Tirelli Custumi, die “ein Dutzend Jesus-Filme” ausgestattet hat.
Dass angesichts dieser sich ähnelnden Bemühungen um die Konstruktion einer (pseudo)historischen Authentizität die Darstellung Jesus auch klischeehaft wird – dieser Aspekt ist in der Doku allenfalls zu erahnen. Der Schwerpunkt liegt mehr auf unterschiedlichen Grenzverschiebungen. So stieß die Interpretation des Erlösers als Rockstar in Hippie-Ästhetik (“Jesus Christ Superstar”) nicht nur auf Gegenliebe. “Mehr Gosse als Gospel”, urteilte die Kritik über dieses Musical, dessen Leinwandadaption später erfolgreich wurde.
Ein Schlüsselthema sind, wie nicht anders zu erwarten, medial orchestrierte Skandale durch provokante Darstellungen der Passionsgeschichte: “Ich glaube, dass der kalifornische Staat in den Ozean fällt, wenn dieser Film gezeigt wird”, hieß es zum Beispiel über “Die letzte Versuchung Christi” von 1988. Stein des Anstoßes war Martin Scorseses spekulative Neuinterpretation, die Christus erstmals “als ein sexuelles Wesen” zeigte.
Als “Akt der Blasphemie” galt ebenso Mel Gibsons “Die Passion Christi”, der die Kreuzigung zum bluttriefenden Gewalt-Voyeurismus mit Peitschen, Nägeln und Blut überhöhte. Dass Gibson auch Antisemitismus vorgeworfen wurde, wird zwar am Rande erwähnt, aber leider nicht präzise benannt.
Der Bogen vom Beginn der Filmgeschichte bis in die Gegenwart mündet in einen Blick auf zeitgenössische filmische Interpretationen des Heilands. So hebt Buse hervor, dass Darsteller Mehdi Dehbi in der populären Netflix-Serie “Messiah” von 2020 zuweilen mit einem Männer-Dutt auftritt. In “Das Neue Evangelium” des Schweizer Regisseurs Milo Rau wird der Zimmermann-Sohn von Yvan Sagnet dargestellt, einem politischen Aktivisten aus Kamerun: Ein schwarzer und ein queerer Jesus – repräsentieren Geschlecht, Hautfarbe und Migrationshintergrund eines filmisch interpretierten Jesus auch spirituelle Aspekte? Oder sind dies nur Zugeständnisse gegenüber dem Zeitgeist?
Antworten auf diese und andere spannende Fragen gibt die Dokumentation dann leider nicht wirklich. “Im Film”, so eine Grundthese, “scheint Gott nun wirklich Mensch zu werden”. Diese Anspielung auf das zentrale Konzept der christlichen Theologie, die Inkarnation, wird leider auch nicht weiter verfolgt. Schon eher überzeugt der materialreiche Film dank seiner vielfältigen Aspekte und durch seinen kurzweiligen Parforce-Ritt durch die Kinogeschichte.