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Arm dran!?

Die reichste Rentnergeneration aller Zeiten genießt ihren Lebensabend. Wenn da nur nicht diese ständigen Warnrufe von der drohenden Altersarmut kämen. Was ist Sache in Sachen Altersarmut? Was kommt auf uns zu? Wie ist die Sicht von Kirche und Diakonie?

Juergen Blume

Es gibt Armutsexperten, die immer Armuts-Alarm schlagen. Zu ihnen gehört der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider. Die Altersarmut von heute hält er für „alarmierend“. Sehr viel gelassener blickt der langjährige Caritas-Generalsekretär Georg Cremer auf Altersarmut. Er schreibt: „Derzeit hat die Rentnergeneration in Deutschland kein überdurchschnittliches Armutsrisiko.“ Auch der Professor für Volkswirtschaftslehre Cremer räumt allerdings ein, dass Menschen, die im erwerbsfähigen Alter schon arm waren, auch im Alter arm sein werden.
Der neue Armuts- und Reichtumsbericht hält fest, dass nur sehr wenige Ältere in Deutschland arm sind, deutlich weniger als im Bevölkerungsdurchschnitt. Das bestätigt statistisch das Bild von der reichsten Rentnergeneration aller Zeiten. Aber was ist mit der nahen Zukunft, der Altersarmut, die auf uns zurollt? Auch hier geben die Autoren dieses Regierungsberichts Entwarnung – sie halten Prognosen zu massenhafter Altersarmut für „fahrlässig“.

Das sieht die Bertelsmann-Stiftung ganz anders. In ihrer neuen Studie gibt sie sich davon überzeugt, dass im Jahr 2036 das Altersarmutsrisiko der Rentner dieser Generation bei 20 Prozent liegen wird. Das kann ja heftig werden. Aber andererseits sind Prognosen bekanntlich schwierig, besonders, wenn sie sich auf die Zukunft beziehen.

Beim Thema Altersarmut geht es nicht nur um Zahlen, Daten und Fakten. Globale, übergreifende Statistiken ergeben kein einheitliches und kein eindeutiges Bild. Forschung und Wohlfahrtsverbände sind sich in der Interpretation nicht einig. Bei Altersarmut geht es mehr als bei anderen Armutsfeldern um Dunkelziffern, „Behördenscheu“ und große regionale Unterschiede. So ist in Nordrhein-Westfalen Köln die Hauptstadt der Altersarmut. Über sieben Prozent aller Älteren in Köln sind arm, mehr als doppelt so viele wie im Bundesdurchschnitt. Und ein viel zu großer Teil älterer Menschen nimmt die Grundsicherungsleistungen nicht in Anspruch, obwohl hier ein klarer Rechtsanspruch besteht. Mehr als sonst, so zeigt sich, ist Altersarmut verdeckte Armut, weniger als in anderen Armutsfeldern geben reine Zahlen ein realistisches Bild.

Den Kölner Diözesan-Caritasdirektor Frank-Johannes Hensel hat die Bertelsmann-Studie aufgeschreckt. Hensel weiß, wie es armen Menschen geht: Der gelernte Arzt war jahrelang auch Sprecher der Nationalen Armutskonferenz. Bei Facebook warnt er vor den Folgen der steigenden Altersarmut: „Mit der Altersarmut schwinden die Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe. Menschen können keine Geschenke mehr machen oder Einladungen schwerlich aussprechen. Alle Medikamente und Hilfsmittel erfordern Zuzahlungen oder komplette Eigenfinanzierungen.“ Am Beispiel der Geschenke zeigt sich anschaulich die Kluft zwischen den Reichen unter den Senioren und den Armen: Die einen vererben ihren Nachkommen Häuser, Aktien und Vermögenswerte, während arme Ältere ihren Enkeln nicht einmal ein paar Euro für die Kirmes oder ein gutes Zeugnis zukommen lassen können.

Keinen Euro für die Enkel übrig

Die Diakonie-Expertin Heike Moerland macht noch auf einen anderen Akzent aufmerksam. Bei der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe leitet sie das Geschäftsfeld Berufliche und soziale Integration. In politischer Hinsicht, so Moerland, handele es sich bei der Frage nach der Altersarmut durchaus um ein sehr aktuelles Thema, da im mittleren Alter für das Alter angespart werden müsse, um später von einer auskömmlichen Rente leben zu können. Das sei weder in Haushalten möglich, die über ein geringes Arbeitseinkommen verfügen, noch in Haushalten, die auf Grundsicherung angewiesen sind. Sie mahnt: „Insofern besteht bereits jetzt Handlungsdruck.“

Wenn Mitarbeiterinnen von Diakoniestationen unterwegs sind, dann sehen sie, wie alte Menschen in Armut leben. Aber sie treffen auf Kunden, die über ihre prekäre Lebenssituation keine Auskunft geben wollen. Dem Attendorner Pfarrer Christof Grote begegnen arme Ältere bei der Tafel und bei der Kleiderkammer, die es in der Kirchengemeinde seit 1999 gibt. Grote, der auch Diakoniepfarrer des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg ist, weist darauf hin, dass es vor allem Frauen sind, die unter Altersarmut zu leiden haben. Kleine Renten und gebrochene Erwerbsbiographien, so seine Beobachtung, sind ausschlaggebend für Frauenarmut im höheren Lebensalter. Außerdem komme jetzt eine erste Generation von Frauen ins Ruhestandsalter, die durch ihre Scheidung nur wenig zum Leben hat.
Beim Institut für Kirche und Gesellschaft der Evangelischen Kirche von Westfalen befasst sich der Altersforscher Marcel Temme mit Altersarmut. Er plädiert dafür, Panikmache zu vermeiden. Was kann man gegen Altersarmut tun? Temme fordert eine „lebensphasenorientierte Sozialpolitik“. Um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, dürfe man nicht nur die jetzt akut Altersarmen in den Blick nehmen. Eine gut abgestimmte Gesellschaftspolitik, die alle Lebensphasen unter die Lupe nimmt, sei entscheidend, um spätere Altersarmut zu vermeiden.
Soeben meldet das Statistische Landesamt Nordrhein-Westfalen, dass jeder Achte in Nordrhein-Westfalen Leistungen aus der sozialen Grundsicherung bezieht. Die geringste „Mindestsicherungsquote“ weisen aber Menschen ab 55 Jahren auf. So erfreulich das klingt – wenn Politik und Gesellschaft nicht gegensteuern, wird sich das in naher Zukunft ändern.