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Anke Rehlingers Erinnerung an die DDR – “Wie eine andere Welt”

Als Schülerin hat Saar-Ministerpräsidentin Anke Rehlinger die DDR besucht – mit einem unguten Gefühl. Heute sagt sie: “Uns verbindet mehr, als man meint” – und lädt zum Deutschlandfest ins Saarland.

35 Jahre deutsche Einheit – die Feierlichkeiten zum Jahrestag finden Anfang Oktober in Saarbrücken statt. Saarlands Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) spricht im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) über ihre Erinnerungen an die DDR und ihren Wunsch nach mehr Einheit. Rehlinger ist als Bundesratspräsidentin Gastgeberin des Festakts, zu dem unter anderem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erwartet werden.

Frage: Frau Ministerpräsidentin, welche Erfolge verbinden Sie mit 35 Jahren Deutscher Einheit?

Antwort: Bei vielem sind Fortschritte gemacht worden. Etwa die Angleichung der Renten ist wirklich ein riesiger Schritt. Aber es gibt auch weiterhin viele Unterschiede, an denen noch gearbeitet werden muss. Wobei ich gar nicht weiß, ob Unterschiede prinzipiell schlimm sind. Es gibt ja auch Unterschiede zwischen Saarbrücken und Flensburg. Wer heute durch Berlin spaziert, der bemerkt kaum noch, wo mal die Mauer stand. Und so ist es auch in ganz vielen Regionen. Natürlich gibt es Probleme, natürlich ist nicht alles rosig. Aber das lässt sich nicht nur an Himmelsrichtungen festmachen.

Frage: Das Saarland ist in Ihren Worten das älteste der neuen Bundesländer. Wie gut verstehen Sie den Osten und seine Besonderheiten?

Antwort: Uns verbindet viel mehr, als man auf den ersten Blick meint. In der Tat sind wir als Saarland ja auch nicht seit Gründung der Bundesrepublik dabei. Das Saarland hat die Wiedervereinigung quasi geprobt: 1957 wurde das Saarland zum jüngsten der “alten” Bundesländer. Die Grundlage dafür war übrigens, dass die Saarländer selbstbestimmt über ihre Zukunft entscheiden durften. Und dass das Ergebnis von Frankreich und Deutschland akzeptiert wurde. Wenn man sich bestimmte demografische oder auch wirtschaftliche Entwicklungen anschaut, gibt es viele Gemeinsamkeiten zwischen Regionen im Wandel in Ostdeutschland und im Saarland.

Frage: Wie ist Ihre Erinnerung an Ihre erste Reise auf das Gebiet der ehemaligen DDR?

Antwort: Ich war als Schülerin dort mit “Jugend trainiert für Olympia”. In Berlin sind wir über den Übergang Friedrichstraße nach Ost-Berlin. Die Mauer war wie ein Fremdkörper mitten durch Berlin und ich spürte das ungute Gefühl teilweise ewiger Kontrollen. Für mich fühlte sich das damals an wie eine andere Welt.

Frage: Deutschland und Europa sehen sich mit vielfachen Krisen konfrontiert. Bei welchen Themen sollte mehr gesellschaftliche Einheit erzielt werden?

Antwort: Vom Tag der Deutschen Einheit im Saarland geht ja auch ein europäisches Signal aus – es ist eine große Ehre, dass der französische Staatspräsident Emmanuel Macron beim Festakt spricht. Es geht beim Tag der Deutschen Einheit natürlich vor allem um das Zusammenwachsen von Ost und West in Deutschland. Aber genau diesen Zusammenhalt braucht es auch für die europäische Einigung. Und die ist wichtiger denn je, wenn Sie an die Bedrohung Europas durch Putin denken. Oder den wirtschaftlichen Druck, der von den Handelskonflikten mit den USA und auch China ausgeht. Europa ist stark, wenn es so einig wie möglich ist. Dafür müssen wir mehr tun.

Frage: In der Politik steht Machtkonkurrenz im Vordergrund, wie kann es da überhaupt mehr Einheit geben?

Antwort: Ich teile die These so nicht. Im Länderkreis, ob im Bundesrat oder in der Ministerpräsidentenkonferenz, erlebe ich oftmals ein ernsthaftes Ringen um wirklich wichtige Detailfragen. Da geht es oft kreuz und quer zu Parteifarben, weil es am Ende um die jeweiligen Interessen und Besonderheiten der Länder und ihrer Bevölkerung geht. Die Sternstunden erlebt man dann, wenn alle sich einig werden – optimalerweise auch mit der Bundesregierung. Das darf gern noch häufiger vorkommen, dass man über den eigenen Tellerrand hinausschaut und das Gemeinwohl und zum Beispiel gleiche Lebensverhältnisse in ganz Deutschland in den Blick nimmt.

Frage: Einheit in gesellschaftlicher Vielfalt – was können die Menschen selbst für ein gutes Miteinander tun?

Antwort: Die Deutsche Einheit zeigt uns bis heute: Durch Wandel kann Zukunft entstehen, wenn wir gemeinsam den Mut aufbringen, nach vorne zu gehen. So wie viele Ostdeutsche, die damals für Freiheit und Demokratie auf die Straße gingen. Unser Motto “Zukunft durch Wandel” drückt die Zuversicht aus, dass sich Mut lohnt und dass, wer aufbricht, auch ankommen wird. Dazu braucht es aus meiner Sicht einen starken Zusammenhalt und respektvollen Dialog untereinander und als Gesellschaft insgesamt. Und dass man ein bisschen mehr das Gemeinsame sucht, statt immer das Trennende zu betonen.