Artikel teilen

„Anfang und Ende aller meiner Gedanken“

Ein Spötter, der sich als religiöser Denker entpuppt: Heinrich Heine kannte sich aus in der Welt der Religionen und ganz besonders in der Bibel. Hochachtung hegte der konvertierte Jude für Martin Luther und dessen Dienst für die Freiheit des Denkens

„Man hat mir vorgeworfen: ich hätte keine Religion. Nein, ich hab sie alle…“
Zwei kurze Sätze, nur 13 Wörter: Und doch sprechen sie Bände über das Leben seines Urhebers. Denn in der Tat war das einer der Hauptvorwürfe, den sich Heinrich Heine – neben seiner politischen Haltung – gefallen lassen musste und der immer wieder die Zensoren auf den Plan rief: Er sei antireligiös und verhöhne das Christentum. Am Ende gab es für den Schriftsteller nur den Ausweg des Exils. Von 1832 bis zu seinem Tod am 17. Februar 1856 lebte er in Paris.
Dabei sieht die Wahrheit über ihn und sein Werk ganz anders aus als es viele seiner Zeitgenossen und Nachgeborenen wahrhaben wollten: Zeitlebens nämlich hat sich der am 13. Dezember 1797 als Harry Heine in eine jüdische Kaufmannsfamilie in Düsseldorf Hineingeborene mit Religion beschäftigt: der Religion der griechisch-römischen Antike, den drei widerstreitenden monotheistischen Religionen und denen des vorderen Orients. „Das Buch, das er in seinen Schriften zitiert und das er vielleicht sogar von allen Büchern überhaupt am besten kannte, war die Bibel“, schreibt Christian Liedtke, Herausgeber des jetzt bei Hoffman und Campe – Heines Verlag schon zu Lebzeiten – erschienenen Buches „Heinrich Heine Katechismus“.
Das Buch versammelt eine überraschende Vielzahl von Beiträgen Heines (Gedichte, Reflexionen, Notizen, theoretische Texte) zu Religion und Religionen: über Himmel und Hölle, Priester und Propheten, Glaubenshass und Glaubenszweifel, Moses und Luther.

Bleibende Bindung und wachsende Skepsis

Dass Gott, Götter und ihre Vertreter auf Erden im Leben und Werk Heines eine so große Rolle spielen, erscheint kaum verwunderlich angesichts früher Erfahrungen von Judenfeindlichkeit und genauer Kenntnis der langen Verfolgungsgeschichte, die das jüdische Volk erleiden musste. Auch wenn seine Zeit (und er selbst) geprägt ist von einem kritischen Geist, von wachsender Skepsis gegenüber religiösen Wahrheitsansprüchen und deutlichen Säkularisierungstendenzen, erlebt Heine die Religionszugehörigkeit noch immer als einen „Faktor, der entscheidenden Einfluss auf die Lebenswirklichkeit der Menschen in den Ländern Europas hat“ (Liedtke). „Wie kann ich aus meiner Haut, die aus Palästina stammt, und welche von den Christen gegerbt wird seit achtzehnhundert Jahren!“, rief Heine in einem Gespräch mit einem Freund einmal aus.
Dabei, so Liedtke, sei der Schriftsteller kein Gottsucher im eigentlichen Sinn. Letztlich gehe es ihm um den Menschen, um seine Wünsche und Glücksvorstellungen, die sich in den Religionen spiegeln. Maßstab für die Bewertung der Religionen sei für Heine, ob sie die Emanzipation und freies Denken befördern oder verhindern. In diesem Sinne entdeckt er nicht nur das Unterdrückungspotenzial der Religionen, sondern ebenso ihre befreiende Kraft. „Er sieht Moses, Jesus und die frühen Christen als Revolutionäre und liest die Bibel als ein Manifest der Freiheit“, schreibt Liedtke.
Besondere Hochachtung hegt der nach heftigem innerem Ringen zum Protestantismus konvertierte Heine („Der Taufzettel ist das Entreebillet zur europäischen Kultur“) für den Reformator Martin Luther und dessen Dienst für die Freiheit des Denkens und für die deutsche Sprache.
Und die ist ja schließlich Heines Handwerkszeug. Mit ihr zieht er vor allem in seinen literarischen Texten immer wieder feinsinnig-spöttisch die Schwächen des göttlichen Bodenpersonals durch den Kakao. In Sachen Ironie tut es ihm in seiner Zeit niemand gleich. Betonköpfigkeit, unbewegliches Denken – all das ist dem in einem toleranten Elternhaus aufgewachsenen Heine ein Graus.
So ist es denn auf den ersten Blick ein Widerspruch, ein Buch über das religiöse Denken Heines als „Katechismus“ zu bezeichnen. Denn eines wollte er vermutlich nie: belehren. Dennoch wagt Liedtke die These, dass Heine der Titel seines Buches  gefallen haben könnte, denn eines könne man ja daraus lernen: „das produktive Zweifeln, die Skepsis gegenüber Dogmen und ihren weltlichen Vertretern“.
Und trotz allen Zweifels und allen Spotts bekennt Heine als 38-Jähriger: „Der Verfasser dieser Blätter ist sich einer solchen frühen ursprünglichen Religiosität aufs freudigste bewusst, und sie hat ihn nie verlassen. Gott war immer der Anfang und das Ende aller meiner Gedanken“.

Heinrich Heine/Christian Liedtke (Herausgeber): Heinrich Heine Katechismus. Hoffmann und Campe, 256 Seiten, 18 Euro.