Die halbe Welt spricht über eine Predigt. Wann hat es das zuletzt gegeben? Da redet ein Pastor in einer Kirche. Und man muss ihm einfach zuhören.
Was Michael Curry, Bischof aus Chicago und Oberhaupt der anglikanischen Episkopalkirche in den USA, am Samstag bei der „Königlichen Hochzeit“ in der St.-Georgs-Kapelle auf Schloss Windsor gemacht hat, war ein Meisterstück.
Was war geschehen? Curry predigte über die Liebe. Derartige Predigten erklingen zigtausendfach zu Hochzeiten, Jahr für Jahr.
Aber wo die Hochzeitsgemeinde sonst schnell mit dem Banknachbarn ins Murmeln gerät oder mit dem Handy daddelt, war davon während der Predigt anlässlich der Hochzeit von Prinz Harry und Meghan Markle nichts zu spüren. Da gab es nur: ungläubiges Staunen. Und – bei vielen – aufschießende Begeisterung. Aber auch Verärgerung. Diese Predigt ließ jedenfalls keinen kalt.
Pastor Michael Curry war ein Kunststück gelungen. So etwas kann man nicht einfach kopieren. Aber vielleicht kann man sich ja davon inspirieren lassen. Schauen wir also einen Augenblick etwas genauer hin.
Da ist zunächst der Gegensatz. Hier die jahrhundertealte Tradition, würdevoll und steif wie der Gehrock von Prinz Philip; mit all ihren Regeln und Erwartungen. Solche Veranstaltungen kennen wir alle. Dann aber der Pfarrer, der wild mit den Armen gestikulierte. Dramatisch die Stimme erhob, dann wieder kunstvoll Pausen setzte. Den Leuten tief in die Augen sah. Das muss man nicht mögen. Aber: Da war Leben drin!
Der Inhalt. Michael Curry traute sich was. Sprach nicht nur davon, wie die Liebe daheim, im Hausgebrauch aussehen sollte. Sondern was für eine Macht sie hätte, wenn die Menschen die Liebe nur zuließen. Zitierte Martin Luther King, erinnerte an die Sklaverei. Und das vor der versammelten Spitze der früheren Kolonialmacht. „Stellen Sie sich unsere Regierungen und Staaten vor, wenn Liebe der Weg ist. Kein Kind ginge hungrig zu Bett, Armut würde Geschichte werden, die Erde wäre ein Zufluchtsort.“ Curry wusste, dass Politiker und Regierungsverantwortliche aus aller Welt zusahen und -hörten. Aber Curry hatte Mut. Er hämmerte es den Menschen trotzdem in die Ohren.
Und das führt zum vielleicht entscheidenden Punkt. Warum hatte Currys Predigt so eine Wirkung? Weil die Menschen spürten: Dieser Mann meint es wirklich so. Er hält keine schöne Rede. Sondern zielt auf Ohr und Herz: Leute! Hört mir zu! Was ich zu sagen habe, ist lebenswichtig. Für mich. Und für dich!
Das sollte eine gute Predigt leisten: begeistern. Anzünden. Gerne auch: Widerspruch hervorrufen. (Man muss sich nur mal im Video die zum Teil arg säuerlich dreinblickenden Gesichter etlicher Ehrengäste in der Kapelle anschauen.) Eine Predigt, die Reaktionen hervorruft, ist eine starke Predigt.
Man kann und sollte Michael Curry nicht kopieren. Aber eine Lehre darf man aus seiner fulminanten Predigt vielleicht doch ziehen: Wer selber brennt, kann anderen ein Licht sein.
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Andern ein Licht sein
Wer je auf einer Kanzel stand, kennt das: Man predigt – und irgendwie hören die Leute nicht richtig zu. Wie kann das gelingen: Aufmerken? Erstaunen? Begeisterung? Oder auch: Widerspruch