Kurz vor seinem 90. Geburtstag hat der Dalai Lama erklärt, wie er seine Nachfolge regeln will. Doch Peking will die Angelegenheit selbst in die Hand nehmen. Die Fronten sind verhärtet – es drohen konkurrierende Dalai Lamas.
Kurz vor seinem 90. Geburtstag am Sonntag (6. Juli) hat der 14. Dalai Lama die Unabhängigkeit von China in der Nachfolge-Frage betont. Die “alleinige Befugnis” für die Ernennung des 15. Dalai Lamas liege bei der Stiftung Gaden Phodrang, erklärte der spirituelle Führer des tibetischen Buddhismus in einer mit Spannung erwarteten Videobotschaft am Mittwoch.
Der populäre Mönch und Friedensnobelpreisträger von 1989 bekräftigte, dass er – nach internationalen Konsultationen mit Buddhisten weltweit – auf jeden Fall wiedergeboren werden wolle: “Die Institution des Dalai Lamas wird fortbestehen.” Jede Einmischung der kommunistischen Führung in Peking bei der Suche nach seiner Reinkarnation wies er strikt zurück. Die Stiftung habe den Auftrag, die Suche und Ernennung “entsprechend der bisherigen Tradition” vorzunehmen. Sie ist die offizielle Organisation, die sämtliche religiösen und administrativen Angelegenheiten des Dalai Lamas verwaltet.
Das Thema sorgt für Streit mit Peking, das seinerseits den Anspruch erhebt, den künftigen Dalai Lama auszuwählen. In einer ersten Reaktion hielt Chinas Außenministerium am Mittwoch an dem Plan fest, in eigener Regie eine Wiedergeburt in China zu suchen, die nur mit Genehmigung der Regierung ernannt werden dürfe. In seinem jüngsten Buch hatte der Dalai Lama indes betont, dass er “in der freien Welt” wiedergeboren werden wolle, damit sein Nachfolger ungehindert seine Aufgabe fortsetzen könne.
Penpa Tsering, Chef der tibetischen Exilregierung, kritisierte Peking für die erneute Einmischung. “Über die Wiedergeburt des Dalai Lamas entscheiden die Tibeter allein”, sagte er Ippen Media. Die Gesellschaft für bedrohte Völker mit Sitz in Göttingen schließt sich diesem Anliegen an. Sie forderte die Bundesregierung auf, das Recht der Tibeter auf Selbstbestimmung zu unterstützen. “Deutschland muss deutlich machen, dass es die chinesischen Einflussbemühungen auf die Nachfolge des Dalai Lamas nicht akzeptieren wird”, heißt es in einem Appell der Menschenrechtsorganisation.
China schmiedet schon seit Jahren Pläne, um die Auswahl einer Reinkarnation zu kontrollieren. Dies dürfte letztlich zu zwei konkurrierenden Dalai Lamas führen: einer, den das tibetische Volk anerkennt, und einer von Pekings Gnaden. Ähnliches passierte bereits mit dem Panchen Lama, dem zweithöchsten tibetischen Religionsführer. Der “chinesische” Panchen Lama, der heute 35 Jahre alt ist, findet unter Gläubigen aber wenig Anerkennung. Der tibetische dagegen ist sehr bald verschwunden; nach tibetischer Darstellung wurden er und seine Familie von Peking entführt und beseitigt.
Nach dem Tod eines Dalai Lamas suchen normalerweise tibetanische Mönche nach einem Kind, in dem nach ihrer Überzeugung die Seele des Buddhas des Mitgefühls fortlebt.
Der exiltibetische Regierungschef Penpa Tsering warnte unterdessen vor Unruhen und einer Radikalisierung nach dem Tod des Dalai Lama. “Für die Tibeter wird es sehr emotional sein”, sagte er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Berlin. “Direkt nach dem Ableben Seiner Heiligkeit wird es vor allem Instabilität als Reaktion geben.” Die Tibeter hätten “zu viel Traurigkeit” erfahren. Ihr ganzes Leben hätten sie gehofft, den Dalai Lama einmal in Tibet sehen zu können; dazu sei es nicht gekommen.
Von Gewalt hätten die Tibeter immer abgesehen, weil der Dalai Lama für ein friedliches Vorgehen eintrete. “Wer wird nun, wenn es keine Führung wie Seine Heiligkeit mehr geben wird, die Tibeter in Tibet führen?”, fragte Tsering. “Das ist gefährlich – denn dann könnten sich die Dinge radikalisieren.” Dazu könne auch die Reaktion der chinesischen Seite auf eventuelle Aufstände beitragen. “Sie wollen die Tibeter radikalisieren”, warnte der Ministerpräsident. “Denn dann könnten sie die Tibeter als Terroristen bezeichnen. Diese Gefahren sind immer da.”
Dass der 14. Dalai Lama bei seinen Auftritten immer schwächer wirkt, nannte der Regierungschef “normal, wenn man altert und die 90 erreicht”. Am 6. Juli wird der 90. Geburtstag von Tenzin Gyatso, wie der 1959 nach einem niedergeschlagenen Aufstand ins indische Exil geflüchtete Religionsführer heißt, mit Feierlichkeiten im indischen Dharamsala begangen. “Für sein Alter, mit 90 Jahren, geht es ihm meiner Meinung nach fantastisch, also müssen wir uns um ihn keine Sorgen machen.”
Auf jeden Fall, so der Regierungschef, werde es im etwa zwei Jahrzehnte dauernden Übergang ein Vakuum geben, bis der gefundene Junge erwachsen ist und die Rolle als neuer Dalai Lama ausüben kann. “Diesen Rückschlag wird es geben”. Es werde sehr schwierig, den jetzigen 14. Dalai Lama zu ersetzen. Der Nachfolger dürfte anders sein. “Er wird vielleicht nicht dieselbe Persönlichkeit haben und auch nicht dieselbe Reichweite und Denkweise und all das.”
Der exiltibetische Regierungschef wirft Staats- und Parteichef Xi Jinping vor, mit seiner Kampagne der Sinisierung, der chinesischen Überprägung, die tibetische Kultur auslöschen zu wollen. “Die Idee ist: Wenn es keine Nationalitäten gibt, gibt es auch keine Nationalitätenprobleme. Man muss also alles assimilieren”, sagte Tsering. “Inzwischen tun sie es nicht hinter den Kulissen, sondern offen.” Sie fürchteten nicht, was die Welt sage. Eine Million oder 80 Prozent der tibetischen Kinder seien den Familien entzogen und würden in Internaten auf Chinesisch unterrichtet, beklagt er.
Wenn China davon ausgehe, dass Tibet zur Volksrepublik gehöre, dann seien auch die tibetische Zivilisation, Kultur und Sprache ein Teil davon. “Wenn sie verantwortlich wären, sollten sie sich darum kümmern, statt es auszulöschen.” Obwohl Tibet historisch unabhängig gewesen sei, suchten die Tibeter nicht mehr die Trennung von China, sondern vielmehr echte Autonomie. Sie verfolgten einen “Mittelweg”, erläuterte Tsering – was das chinesische Hauptanliegen der Souveränität berücksichtige.
Hatte es früher noch ergebnislose Gespräche gegeben, kommunizieren beide Seiten inzwischen nur noch durch inoffizielle Kanäle, über die aber gerade mal Botschaften ausgetauscht würden. Angesichts der Politik Pekings sei er “sehr, sehr skeptisch”, so Tibets Regierungschef, was eventuelle Gespräche in der Zukunft angehe. Aber die Kommunikation müsse fortgesetzt werden.